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Letzte Ausfahrt Neckartal

Letzte Ausfahrt Neckartal

Titel: Letzte Ausfahrt Neckartal Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thilo Scheurer
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Süddeutschland. Bei dem Opfer wurde Marek Kowalskis Führerschein gefunden.«
    »Nennen Sie mich Andrzej. Aber bevor wir weiterreden, kann ich bitte Ihre Dienstausweise und die staatsanwaltliche Vorladung sehen?« Gaska lächelte unverbindlich.
    »Staatsanwaltliche Vorladung?«
    »Ja, ich meine die Vorladung, damit Sie an der Befragung von Marek Kowalski teilnehmen können.« Gaska sprach langsam und betonte jedes einzelne Wort, als ob er sicherstellen wollte, dass er nicht missverstanden wurde.
    »Wir haben unsere Dienstausweise, aber keine Vorladung«, entgegnete Melchior.
    Gaska kratzte sich unter seiner Cordmütze. »Dann haben wir ein Problem, Frau Melchior.«
    »Inwiefern?«
    »Ohne staatsanwaltliche Vorladung kann ich Sie nicht an der Befragung teilnehmen lassen.«
    Treidler holte tief Luft. Er hatte sich wohl verhört. Da fuhren sie den ganzen Weg von Berlin nach Kattowitz, und nun wollte dieser Kerl sie nicht an der Befragung teilnehmen lassen. »Und ohne die Aussage des einzigen Zeugen können wir diesen Mord nicht aufklären«, sagte er lauter als beabsichtigt.
    »Das tut mir leid, Herr Kommissar«, entgegnete Gaska. »Aber ich fürchte, ich kann nichts weiter für Sie tun.« Er hob die Achseln. »Wir haben da unsere Vorschriften.«
    »Andrzej«, sagte Melchior und ließ die Schultern hängen. Ihre Stimme klang sanft und resigniert zugleich. »Wir sind fünfhundert Kilometer und eine Nacht angereist, nur damit Sie uns sagen, dass wir nicht an der Befragung von Marek Kowalski teilnehmen dürfen?«
    Gaska stieß einen Seufzer aus. »Na gut. Ich sehe, was wir machen können. Der Anwalt von Kowalski muss einverstanden sein. Und ich muss natürlich den Generalny Inspektor fragen.«
    »Natürlich«, sagte Melchior.
    Gaska trat an den Informationsschalter und ließ sich von dem uniformierten Beamten den Telefonhörer reichen. Er führte zwei Gespräche, wobei Treidler schon an seiner steifen Körperhaltung und der knappen Gestik erkannte, dass er zuerst mit seinem Vorgesetzten und erst dann mit dem Anwalt sprach. Schließlich kam er zurück und nickte. »Also, es läuft folgendermaßen ab: Sie können an der Befragung von Marek Kowalski teilnehmen, dürfen ihm aber keine Fragen stellen.«
    »Aber ich kann Sie bitten, ihm die eine oder andere Frage zu stellen?«, erkundigte sich Melchior.
    »Sofern Kowalskis Anwalt damit einverstanden ist – jederzeit.« Gaska setzte sich in Richtung Treppe am Ende des Flurs in Bewegung, und Treidler hatte Mühe, ihm zu folgen.
    »Warum benötigt er einen Anwalt?«, fragte Treidler. »Wird Kowalski denn etwas vorgeworfen?«
    »Im Moment nicht«, entgegnete Gaska, ohne seine riesigen Schritte zu verlangsamen. »Aber wir denken, dass er so einiges auf dem … Wie sagt man in Deutschland? … Kerbholz? … ja, auf dem Kerbholz hat.« Er schüttelte den Kopf und murmelte mehr zu sich selbst: »Ich werde diese Redewendung wohl nie verstehen. Ein Kerbholz ist doch nur ein Stück Holz. Was kam man da denn drauf haben?«
    Wenig später saßen Treidler und Melchior mit Podkomisarz Andrzej Gaska an einem riesigen Nussbaumtisch in Zimmer einhundertacht und warteten, bis Kowalski mit seinem Anwalt eintraf. Nicht nur der Tisch, sondern auch der Raum, fand Treidler, war viel zu groß für Vernehmungen und diente dem Kommissariat offenbar hauptsächlich als Besprechungszimmer. Das Flipchart, zwei Magnettafeln sowie ein Videoprojektor neuester Ausführung bestärkten ihn in seiner Vermutung.
    Etwa zehn Minuten nach der verabredeten Zeit trat eine junge Mitarbeiterin mit langen schwarzen Haaren und einem scharf geschnittenen Gesicht in das Zimmer. Sie wechselte ein paar Worte mit Gaska, verließ den Raum und kam mit zwei Personen im Schlepptau wieder zurück.
    Als Erstes folgte ihr ein älterer, grau melierter Mann Ende fünfzig, der den Charme eines Finanzbeamten verströmte. Er trug einen dunklen Anzug mit weißem Hemd und türkisfarbener Krawatte und schleppte eine schwarze Aktentasche mit sich. Warum sahen alle Anwälte immer gleich aus? Die andere Person hatte auf den ersten Blick eine gewisse Ähnlichkeit mit ihrem Mordopfer. Die dichten Rastalocken schienen in Länge und Farbe identisch und erinnerten ihn sofort wieder an nasse Holzwolle. Statur und Oberkörper hatte Treidler jedoch kräftiger in Erinnerung.
    Marek Kowalski und sein Anwalt nahmen gegenüber ihnen Platz, und eine offenkundig beiläufige Konversation in Polnisch kam in Gang. Anscheinend kannten sich Gaska und der Anwalt.

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