Letzte Ausfahrt Ostfriesland
Bewegungen.
Sie blieb vor meinem Tisch stehen, schaute mich glücklich an. Wie eine vergessene Puppe einer Porzellanmanufaktur stand sie neben mir. Ihre Brüste strafften das weiße T-Shirt, und um ihre schmale Taille lag das Bündchen des Folklorerocks.
In ihren schwarzen Augen lag eine Freude, die mich meiner Sorgen für Sekunden enthob.
»Kapitän, ich muss Sie auffordern, uns zu folgen! Ihr Schiff liegt im Hafen, Ihre Mannschaft erwartet Sie!« Das war ihre Stimme.
Ich hatte einen Gorilla erwartet, der eine Pistole unter der Achsel trug. Doch so charmant in meine neue Aufgabe eingeführt zu werden überstieg alle meine Träume.
Entschlossen griff ich nach meiner Reisetasche, warf mir meine Lederjacke über die Schulter und folgte Kaya, die sich zu dem Studenten gesellte.
Vor dem Hotel stand der Mercedes. Ich nahm auf der hinteren Sitzbank Platz, wie damals in Istanbul. Doch so lange war es nicht her, dachte ich, während ich durch die Scheiben blickte, als wir das Hotel verließen.
Izmir, am frühen Morgen unter der Sonne des Mittelmeeres, war schon eine herrliche Stadt, wie ich den Bildern entnehmen konnte, die an meinem Fenster vorbeiflogen.
Erst als der Student mit angemessener Geschwindigkeit den Serpentinenweg nahm, schaute ich auf das Meer, ohne Hafenanlagen oder Fischerboote auszumachen. Dabei liefen selbst große Fährschiffe den Hafen an.
Wir landeten an der Küste auf einem Asphaltweg. Erst als wir nach vielen Kilometern eine Felsnase umrundeten, lag der Blick in einen Hafen offen vor mir. Seezeichen kündigten die Bucht an. Fischereifahrzeuge und kleinere Frachtschiffe schaukelten hinter einer Mauer. Weit vor uns an einer Mole, die weit ins Meer hinausragte, lag ein weißes Schiff. Es wirkte auf mich wie ein riesiges Fährschiff.
Mein Herz begann zu rasen. War meine Tochter an Bord dieses Schiffes? Und wenn die Gangster Wort gehalten hatten, war sie gesund? Spritzte sie Rauschgift? Hatte sie sich an Männer verkauft?
Wortlos starrte ich durch die Windschutzscheibe. Ich suchte den Kai nach Männern ab, die mich empfangen würden. Ich war vorbereitet, mich in der Gewalt zu haben, falls man mich mit Drohungen und Waffengewalt an Bord zwingen wollte.
Aber nichts von dem! Auch Kaya und ihr Freund schwiegen.
Der Mercedes rollte im Schritt über die Steine der Mole. Das Wasser seitlich kräuselte sich nur leicht und wirkte tintenblau. Am Horizont entdeckte ich keine Wolke, die mich hätte warnen wollen.
Ich machte die rote Fahne aus, die mit dem weißen Halbmond vom Heck des Schiffes hing, ohne dass der Wind nach ihr griff.
Das Schiff wurde größer, wuchs an und die Deckaufbauten kamen mir wie Häuser vor, die aus weißem Stahl erbaut waren. Niemand stand an Deck. Vom Bug hingen die Taue wie Fäden herab.
Ich las Sea Ghost in schwarzer Schrift vom weißen Stahl.
Der Student zog mit dem Wagen vor dem Schiff eine Schleife, und als er anhielt und mich aussteigen ließ, hatte ich das Gefühl, ein Geisterschiff besteigen zu müssen.
Trotz meiner Verwunderung verließen Kaya und er den Wagen. Ich hielt meine Tasche, während der Student aus dem Kofferraum einen großen Lederkoffer hob und Kaya reichte. Er küsste sie auf die Wange, winkte mir kurz zu, stieg in den Wagen und fuhr ab.
»Gehen wir«, sagte Kaya zu meiner Überraschung, den Koffer schleppend, der ihr fast bis an die Oberschenkel reichte.
Verwirrt folgte ich ihr in Richtung Gangway.
»Ich gehöre zur Mannschaft«, flüsterte sie, und ich begriff, dass wir uns nicht kennen durften.
Das Deck war wie leer gefegt. Die hohen weißen Aufbauten imponierten mir und wirkten keineswegs einschüchternd auf mich. Im Gegenteil, mich packte eine abenteuerliche Neugier.
Ich schritt an Kayas Seite einer geöffneten Tür entgegen.
Vor uns lag ein gepflegter, teppichbelegter Gang, von dem aus Holztreppen nach oben und unten abzweigten. Für Sekunden blieben wir stehen, und auch Kaya schien für einen Moment dem ersten Reiz der Schiffsromantik zu verfallen.
Wir hörten Stimmen, die uns aus dem unteren Deck entgegenschallten.
Wir nahmen wie Passagiere, die auf der Suche nach ihren Unterkünften waren, schweigend die Stufen abwärts. Auch hier nahm ein Teppichboden unsere Schritte auf. Sauberkeit herrschte vor, Messingbeschläge blinkten. Vor uns lag eine dicke Holztür, während seitlich Pendeltüren in Gänge führten.
Ich klopfte an, gab mir einen Ruck und entschloss mich in Sekundenschnelle, den vor mir liegenden Raum als Kapitän Bodo
Weitere Kostenlose Bücher