Letzte Ausfahrt Ostfriesland
mir wie eine Verrücktheit vor.
»Damit Sie sich auch durchsetzen können, denn Sie werden die Autorität an Bord sein, befinden sich Waffen in Ihrer Kapitänskajüte. Ihr Erster Offizier ist ein hervorragender Mann. Nutzen Sie Ihre und unsere Chancen.«
Die beiden erhoben sich. Ich stierte auf das kleine Köfferchen, in dem mein Pass lag und mit ihm meine Lehrerlaufbahn, die mir, wie ich dachte, geraubt wurde.
»Frühstücken Sie im Hotel. Gegen elf Uhr werden Sie abgeholt und zu Ihrem Schiff gebracht. Und keinen Ton!« Ich sah, dass er einen Finger auf seine Lippen legte.
Wie ein Schlafwandler folgte ich den Männern und schloss die Tür ab, nachdem sie mein Zimmer verlassen hatten. Ich kniff in meine Wangen, fühlte den Schmerz und begriff, dass ich nicht geträumt hatte.
Ich legte meine Kleidung ab und duschte. Trotz der sommerlichen Hitze ließ ich das Wasser heiß über meinen verschwitzten Körper und die verkrampften Muskeln laufen. Der Dampf umgab mich wie Nebel. Die Umschaltung auf kaltes, erfrischendes Wasser trieb mir ein Kribbeln bis in die Fußspitzen.
Die Badelaken waren mollig und weich. In meiner Reisetasche fand ich frische Wäsche.
An Schlaf war noch nicht zu denken. Ich setzte mich ans Fenster, trank mein Bier und fühlte mich wohl und stark. Ich hätte Bäume ausreißen können.
Der Leuchtturm warf in regelmäßigen Abständen den Schein über das eingedunkelte Meer, während sich am Horizont weit draußen das orangefarbene Abendlicht auflöste.
Mir wurde bewusst, dass ich bald das Marmarameer als Heimat empfinden musste. Nie im Leben wäre mir der Gedanke gekommen, die Brücke eines Schiffes zu betreten.
Sicher lebte ich seit meiner Geburt, abgesehen von Studienzeiten, im Schatten der Deiche, war vertraut mit dem Pulsschlag von Ebbe und Flut. Auch konnte ich zurückgreifen auf Erfahrungen meiner Bundeswehrzeit, die ich aber zum größten Teil in einer Kaserne verbracht hatte. Auch als Segler war ich stets nur eine Hilfe meines Zahnarztes gewesen, wenn wir seine Jacht nach Helgoland, nur selten unter extremen Winden, gesteuert hatten.
Und nun war ich Bodo Harms, der Kapitän, der ein Schiff mit einer wertvollen Fracht, zu der auch meine Tochter zählte, nach Spanien schippern sollte.
Ich langte zum Bier, sagte »Prost!« und machte mir immer wieder klar, dass das kein Witz war.
Um was für ein Schiff es sich handelte, hatten meine Besucher nicht gesagt. Klein konnte es nicht sein, denn mein Erster Offizier, der wirkliche Seemann, befand sich mit seiner Mannschaft mit Sicherheit nicht auf einem kleinen Segelschiff.
Mir wurde bewusst, dass nicht nur meine Papiere nicht stimmten, sondern auch die Ladung nicht aus regulären Handelsgütern bestehen konnte. Bodo Harms, in dessen Rolle ich nun zu schlüpfen hatte, dessen Seebuch und Kapitänspatent vielleicht auf mich warteten, konnte eine Aktenleiche sein. Oder existierte der Mann tatsächlich?
Ich goss mir Bier nach und geriet fast in Panik, als ich feststellte, dass nur noch zwei gefüllte Flaschen meinen immensen Durst löschen sollten. Noch fehlte mir die beruhigende Wirkung für den Schlaf.
Das Telefon war die Rettung. Ich bestellte weitere sechs Flaschen Bier, die der Kellner kurz danach auf den Tisch stellte. Er verließ mich mit einem geringschätzigen Blick.
Hinter der verschlossenen Tür kuschelte ich mich in den Sessel und entließ meine Gedanken mit der notwendigen Fantasie eines Spielers in Richtung Marmarameer.
Möglichkeiten begannen sich abzuzeichnen. Meine Spekulation ging so weit, dass ich annahm, dass sich nun ein Mann mit meinem Pass in die Rolle eines deutschen Gymnasiallehrers einleben musste, um seinerseits einen Auftrag für eine unsichtbare Organisation zu übernehmen, die sich über Europa ausdehnte.
Verzweifelt versuchte ich mich zu erinnern, ob der Typ, der meinen Reisepass kassiert hatte, seine Arme mit Fischen oder sonstigen Meerestieren hatte tätowieren lassen. Doch das erschien mir unwichtig.
In meinen Gedanken begann ich eine Reise durch die Dardanellen, sah Griechenland auf der Landkarte vor mir, näherte mich dem italienischen Stiefel, ließ mein gedachtes Schiff durch die Straße von Sizilien segeln und stellte mir vor, dass Sant Feliu de Guixols irgendwo an der Costa Brava liegen musste.
Ich stellte eine frische Flasche Bier auf den Tisch, öffnete das Fenster bis zum Anschlag und atmete die würzige Luft ein, die der leichte Seewind gekühlt hatte.
Für einen echten Kapitän war das
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