Letzte Ausfahrt Ostfriesland
war.
»Herr Nababik, hier, lesen Sie das, was uns die Direktion schreibt.«
Ich reichte ihm den Brief und vernahm von draußen den protestierenden Ton des Mannes, der uns soeben als ein Verantwortlicher angekündigt worden war.
Dem Ersten Offizier tat mein Vertrauen gut. Mit ernstem Gesicht und verkniffenen Augen las er das Schreiben. Als er es mir zurückgab, sagte er: »Kapitän, ich regele die Kabinenfrage in Ihrem Sinne. Wir haben für Mitreisende der Direktion eine Doppelkabine, luxuriös, das versteht sich. Sie liegt vom Mannschaftsdeck weit genug entfernt, damit ein ruhiges Verweilen garantiert wird. Ihre Tochter und Kaya sollen in den Genuss dieser Annehmlichkeiten gelangen. Diesen Steenblock quartiere ich mit Ihrer Erlaubnis in die vakante Kabine des fehlenden Dritten Offiziers ein.«
Ich war froh, dass er mir das abnahm, denn wie hätte ich entscheiden sollen, wo ich das Schiff noch nicht einmal kennengelernt hatte?
Als er mich verließ, grinste er und sagte: »Ich nehme die Besucher gleich mit, dieser ›technische Direktor‹ kann sich für einen Kapitänsbesuch vormerken lassen.«
Als er die Tür hinter sich schloss, schickte ich ein Dankgebet gegen den wolkenlosen Himmel der türkischen Küste.
Inga war an Bord, und der Erste Offizier hatte sich als ein Mann entpuppt, der mir die Sorgen quasi von den Lippen las. In einer Stunde sollten wir ablegen. Ich vertraute auf den Mann, der ein gutes Deutsch sprach und alles zu durchschauen schien.
Gern hätte ich meine Tochter gesprochen, doch ich hatte begriffen.
Fürs Erste galt es, den Raum nicht zu verlassen, den ich auch in Zukunft hüten musste, wollte ich die mir gebotenen Chancen nicht verspielen.
Kapitel 6
O Gott, was sollte noch auf mich zukommen!
Als Oberstudienrat für Mathematik hatte ich mich in meiner kleinbürgerlichen Idylle wohl gefühlt. Erst der Tod meiner geliebten Frau hatte mich einsam werden lassen. Der Nabelbruch mit meiner Tochter hatte mich herausgelockt, und nun stand ich auf der Brücke eines seetüchtigen Schiffes, das mit den modernsten Navigationsmitteln ausgerüstet war und eine wertvolle Fracht nach Spanien bringen sollte.
Abgesehen von meinen Umwegen, meine Tochter aus etwas zu retten oder vor etwas zu schützen, hatten mir Unbekannte eine Verantwortung aufgebürdet, die zu übernehmen ich nicht ablehnen konnte, wollte ich das Leben meiner Tochter Inga und auch das eigene retten. Ohne Zweifel ging dieser Überlebenskampf zulasten bestehender Gesetze, führte in die Unterwelt, sorgte für Mitschuld an irgendwelchen Verbrechen.
Ich löste mich aus meinen Gedanken, als Nababik die Brücke betrat. Ich hätte ihn umarmen können! Konnte doch nur er mir helfen, mich aus diesem Knäuel von unentwirrbaren Verstrickungen zu befreien.
Sein gutmütiges Lächeln tat mir gut.
»Kapitän, nehmen Sie das alles erst einmal hin. Das meiste, was Sie bedrückt, wird die Zeit Ihnen abnehmen. Ich jedenfalls stehe zu Ihnen«, sagte er, reichte mir die Hand, und ich spürte seinen kräftigen Händedruck.
»Das ist für mich erfreulich, doch für die mir gestellte Aufgabe benötige ich schnell ein paar Auskünfte. Sind Ihnen die Mannschaftsmitglieder alle vertraut?«
Der Erste Offizier überlegte kurz: »Mehr oder weniger. Wir kommen vom Libanon. Dort haben wir Waffen abgeliefert und sind nun auf der Reise, um erneut Kriegsmaterial zu laden. Wir verdienen gutes Geld und leben entsprechend gefährlich. Deswegen kann ich von den Männern alles verlangen. Sie bilden ein zusammengeschweißtes Team. Nur der Neue, der Ihre Tochter an Bord brachte, bildet für mich ein bedrohliches Fragezeichen.«
»Er ist der Mann, dem das Sagen über die Fracht zusteht«, sagte ich.
»Kapitän, wir fahren seit Jahren mit gefährlichen Frachten. Dazu hat noch niemand uns an Bord begleiten müssen«, antwortete er.
»Und was ist unsere Fracht?«, fragte ich.
»Offiziell fahren wir nach Spanien, allerdings angeblich ohne Ladung. Wein, Oliven und Fruchtkonserven holen wir dort ab, doch in Wirklichkeit sind es Handgranaten, Pistolen und Munition. Inoffiziell führen wir viertausend Tonnen Ware mit an Bord. Sie ist in Jutesäcken seefest verpackt, und ich überlasse es Ihrer Fantasie, Kapitän, deren Inhalte zu erraten.« Er grinste, und ich bemerkte seinen Stolz im kernigen Gesicht.
»Nababik, Sie sind ein Abenteurer«, sagte ich.
»Kapitän, noch ein paar gesunde Jahre durch die Scheiße, dann habe ich es geschafft. Dann schaukle ich fette alte
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