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Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Letzte Ausfahrt Ostfriesland

Titel: Letzte Ausfahrt Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor J. Reisdorf
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Harms zu betreten.
    Mitten in der Messe stand ein gewaltiger Tisch, um den Männer saßen. Ein vielstimmiges »Ahoi« schallte mir entgegen. Blitzschnell schaute ich mich um. Mich empfing ein eingeschworenes Team, wie ich sofort begriff.
    Mir gegenüber am Kopfende des Tisches erhob sich ein Mann. Meine Blicke hingen an ihm, ja fast magisch zog er mich an. Er war groß und schlank und trug einen verwegenen Vollbart mit grauen Spitzen. Seine Augen waren auf mich gerichtet, nicht unfreundlich, aber abschätzend. Sein Gesicht wirkte offen und selbstbewusst, und dennoch schien es ein Geheimnis zu bergen.
    Das fühlte ich, denn der lange Umgang mit Schülern hatte meinen Blick für solche Feststellungen geschärft.
    »Dear friends, our captain! Welcome him«, rief er, verließ seinen Platz, kam auf mich zu, reichte mir die Hand und fuhr fort: »With him is Miss Kaya Bayranük, our new stewardess!«
    Der Beifall schwoll an wie ein Orkan. Während der Sprecher, den ich für den Offizier hielt, Kaya seitlich führte und ihr einen Platz am langen Tisch anbot, sagte ich: »Thanks. I am sure, you are all members of a good team. I wish you much luck!«
    Nachdem der Beifall abebbte, fuhr ich fort: »You understand English, but who speaks German?«
    Zu meiner Überraschung nickte ein blasser junger Mann, der bartlos zwischen den Seebären saß.
    »Ich bin Deutscher und als Funker an Bord. Meine Mannschaftsmitglieder verstehen alle Deutsch, zum Teil beherrschen sie unsere Sprache gut. Sie sind unter anderen auch auf deutschen Schiffen gefahren und sprechen mehrere Sprachen.«
    »Danke«, sagte ich.
    Der lange Mann trat zu mir.
    »Es ist sicher nicht das beste Deutsch, Herr Kapitän, aber wir können alles verstehen.«
    »Das ist hervorragend«, antwortete ich und fuhr fort: »Ich heiße Harms. Nennen Sie mir bitte einzeln Ihre Namen und die Funktion, die Sie an Bord haben.«
    Ich sah das belustigte Lächeln im Gesicht des Mannes und deutete es als Zustimmung.
    »Ich heiße Nababik, bin Erster Offizier, neunzehn Jahre im Dienst«, sagte er.
    »Mein Name ist Beppowitsch, bin Zweiter Offizier, komme aus Serbien. Fahre seit zweiundzwanzig Jahren zur See.«
    Ein stabiler, dunkelhäutiger Mann erhob sich. »Ben Salotto, Bootsmaat, war vorher immer auf Tanker.«
    Der Nachbar stellte sich vor: »Maru Malky, Türke, einfacher Seemann, seit vielen Jahren hier auf Schiff.« Auch er war kräftig, aber schlanker.
    »Zermi Zusaakyl, bin Maschineningenieur, zu Hause in Türkei, habe deutsches Patent.«
    Die Reihe kam an meinen Landsmann. »Ich heiße Ulrich Liebenau, fahre meine letzte Reise, denn ich werde als Funker bei Radio Norddeich arbeiten.«
    Der letzte der Männer erhob sich. Er war nicht nur groß, sondern auch breit und fett. Ein Koloss von Kerl. »Bin Achmed Abu Dota, koche auf Schiff, habe gekocht auf viele große Tanker.«
    Zu meiner Überraschung erhob Kaya sich: »Ich heiße Kaya Bayranük, bin Stewardess und seit heute an Bord.«
    Ich bedankte mich und wandte mich an die Crew: »Wir haben noch viel Gelegenheit, uns während der langen Reise näher kennenzulernen. Aber was auch geschehen mag, wie auch die Reise verlaufen wird, ab heute stehen Sie unter meinem Kommando! Ich treffe die Entscheidungen und werde dabei immer Ihr persönliches Wohlergehen im Auge haben. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, unsere Sea Ghost, koste es selbst den Einsatz unseres Lebens, mit der wertvollen Fracht als Team in den Hafen von Sant Feliu de Guixols zu bringen! Jeder der hier Anwesenden muss sich darüber im Klaren sein, dass unsere Fahrt kein Sonntagsausflug und keine Kreuzfahrt ist, sondern von Risiken und Gefahren begleitet wird. Wer mit der Hoffnung auf Prämien nicht bereit ist, alles zu geben, der verlasse sofort das Schiff.«
    Ich war seit mehr als zwanzig Jahren Lehrer und verstand den Umgang mit Drohungen und Belohnungen.
    Die Männer schwiegen, und ich sah, dass der Erste Offizier mir sympathische Blicke zuwarf. Kaya blinzelte mir hoffnungsvoll zu.
    Ich wandte mich ab vom langen Tisch und sagte forsch zu dem Mann, der sich Nababik genannt hatte: »Mister, kommen Sie hinterher auf die Brücke, damit wir alles Nötige besprechen können, wenn die Direktion uns damit beauftragt.«
    Ich verließ die Messe und war froh, dass niemand zusah, als ich mich erschöpft gegen die kalte Stahlwand lehnte, bevor ich die Treppe nach oben nahm.
    Meine Kleider klebten mir am Leib, Arme und Beine entkrampften sich mit einem leichten Zittern, das ich aber vor

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