Letzte Ausfahrt Oxford
Experten einzuweihen.«
»Ist das nicht viel zu riskant?«, fragte Tom.
»Was haben alle Bibliothekare und ganz besonders die Hilfsbibliothekare gemeinsam?«, fragte Harry zurück, beantwortete aber gleich darauf seine eigene Frage. »Ich werde es dir sagen: Sie sind unzufrieden mit der Art, wie man sie behandelt. Landauf, landab murren sie darüber, dass ihre Arbeit nicht wirklich anerkannt wird, dass ihr Gehalt ihnen keinen menschenwürdigen Lebensstandard ermöglicht und dass ihnen sowieso niemand zuhört. Bring zwei Bibliothekare zusammen, und sie fangen an, sich zu beschweren, sei es über Katalogreglements oder mangelnden Regalplatz. Wir müssen uns diese Unzufriedenheit zunutze machen.«
Tom stimmte zu. »Seht euch nur die Colleges an, die schon seit Jahren ihren Bibliothekaren zu wenig bezahlen. Eines Tages werden sie mit einem Haufen unqualifizierter Leute dastehen, die keine Ahnung von Computersystemen haben. Wart ihr schon einmal in der Bibliothek im … (hier nannte er den Namen eines sehr bekannten Colleges in Oxford)? Die Verzeichnisse sind nicht auf dem neuesten Stand, die Karteikästen laufen über, die Karten sind nicht am richtigen Platz eingeordnet. Die machen dort noch nicht einmal eine jährliche Inventur. Wie soll da einer wissen, was bei denen in den Regalen steht – oder eben nicht steht?«
»Da tun sich reiche Weidegründe für uns auf«, sagte Harry.
Während die beiden anderen sich unterhielten, hatte ich nachgedacht.
»Ihr habt wirklich Recht, was Netzwerke und Datenbanken angeht«, sagte ich. »Von meinem Schreibtisch aus kann ich die Bestände von Bibliotheken in der ganzen Welt einsehen. Ich kann feststellen, was sie haben – und was sie nicht besitzen. Möglicherweise könnten wir einen weltweiten Handel aufziehen.«
»Glaubt ihr, wir finden genügend unredliche Leute, damit unser Plan durchführbar und profitabel wird?«, fragte Harry.
»Bestimmt, wenn wir es ihnen in der richtigen Weise beibringen. Wenn wir ihnen klar machen, dass nur wirklich intelligente Menschen, also Menschen wie sie, in der Lage sind, einen solchen Deal durchzuziehen. Wenn genügend Geld drinsteckt. Und wenn wir sicher sein können, dass uns niemand auf die Spur kommt«, sagte Tom.
Wir bombardierten uns gegenseitig mit Ideen. Das Zimmer knisterte vor Energie, wie sie immer entsteht, wenn man etwas Aufregendes plant.
»Alle Bibliotheken wurden irgendwann im Lauf der Zeit zu Sparmaßnahmen gezwungen«, sagte ich. »Und was geschieht dann? Ein Jahr lang, oder vielleicht sogar für zehn oder zwanzig Jahre müssen sie den von ihrem Management verordneten Prozentsatz einsparen. Natürlich schränken sie ihre Einkäufe hauptsächlich auf den Gebieten ein, die ihnen am wenigsten wichtig erscheinen. Aber auf irgendeine Weise entwickelt sich plötzlich genau für diese Gebiete ein großes Interesse. Wir alle wissen, wie kurz die Auflagezeiten von Büchern oder Zeitschriften manchmal sind. Wenn die Bibliothek nicht in der entsprechenden Zeitspanne kauft, ist das Werk oft vergriffen und nicht mehr zu erwerben. Außer, wir bieten ihnen an, es für sie ausfindig zu machen. Aber das hat seinen Preis.«
»Wir werden es den Leuten als besonderes Marketing schmackhaft machen«, sagte Harry. »Als weltweiten Service für Bibliothekare. Und ich glaube, wenn wir eines Tages etabliert sind und sozusagen ein richtiges Aushängeschild haben, wird sich keiner mehr den Kopf darüber zerbrechen, dass wir genau genommen etwas Illegales tun.«
»Völlig richtig«, sagte ich, »wenn wir erst etabliert sind, erwerben wir uns damit eine gewisse Rechtmäßigkeit. Ich habe da eine Idee, die ich mit Tom besprechen möchte«, fuhr ich fort. »Ich glaube, eines Tages werden die Leute zu uns kommen, wie sie sonst zu einschlägigen Spezialisten gehen, um bestimmte Bücher für ihre Sammlungen ausfindig zu machen. Wir werden den Bibliotheken eine bitter benötigte Dienstleistung zur Verfügung stellen.«
»Und man wird uns nicht auf die Schliche kommen?«, fragte Harry.
»Dafür kann niemand garantieren«, sagte ich.
Aber es klappte. Lange Zeit merkte niemand, was wir taten. Vielleicht wiegten wir uns irgendwann zu sehr in Sicherheit. Vielleicht zogen wir zu viele Leute ins Vertrauen, obwohl ich glaube, dass wir strenge Auswahlkriterien anlegten, ehe wir neue Mitglieder rekrutierten. Mitglieder für »Die Gesellschaft«. So nannten wir uns nämlich in Anlehnung an Spionagegeschichten, die wir gelesen hatten. Oder ging es dabei um die
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