Letzte Ausfahrt Oxford
Tick. Aber niemand bemerkte es. Jeder schien es für durchaus normal zu halten, dass man am ersten Arbeitstag in Europas größter wissenschaftlicher Bibliothek eine gewisse Nervosität an den Tag legte.
Ich hatte intensiv nachgedacht, ehe ich die Stelle annahm, die man mir bot. Vermutlich fragen Sie sich, wie ich den beruflichen Fußangeln ausweichen konnte, die mir noch den Weg versperrten. Aber schließlich war mir durchaus bewusst, dass die Bodleian als älteste Bibliothek Englands immer schon Wert darauf legte, Verwaltungsangelegenheiten auf ihre eigene Weise zu regeln. Ihr Katalog und ihre Signaturen sind nach einem System erstellt, das in keiner Universität gelehrt wird. Ihr Motto lautet: Wir sind die Besten. Selbst der Jargon der Bibliothekare unterscheidet sich von dem anderer Büchereien, und man ist stolz darauf. Allen Beteiligten war klar, dass ich in meinen ersten Wochen völlig verloren sein musste. Ich hielt also den Mund, sperrte Augen und Ohren auf und bemühte mich, so schnell wie möglich zu lernen.
Nachdem ich den Eid der Bodleian geschworen hatte, wurde ich für meine Zugangskarte fotografiert.
Ach, Sie wissen nicht, was der Eid der Bodleian ist? Er lautet wie folgt:
Hiermit schwöre ich , niemals ein Buch , Manuskript oder anderes Objekt , das der Bibliothek gehört oder sich in der Obhut der Bibliothek befindet , zu beschriften , zu zerstören oder anderweitig unbrauchbar zu machen . Ich verpflichte mich , weder offenes Feuer in die Bibliothek zu bringen noch eines in ihren Räumen zu entfachen , niemals in der Bibliothek zu rauchen und alle Regeln der Bibliothek auf das Strengste zu beachten .
Natürlich hört sich das alles ein wenig altmodisch an, aber zumindest mussten wir den Eid nicht lateinisch deklamieren. Und einen Meineid habe ich auch nicht geleistet. Ich versichere Ihnen, ich habe weder in der Bodleian noch in einer anderen Bibliothek je ein Feuer gelegt. Der Eid steht auf der Rückseite meiner Zugangskarte, die vorne mit dem Foto versehen ist, das am ersten Morgen aufgenommen wurde: weißes Gesicht, erschrockene Augen, ordentlich gekämmtes Haar und ein leicht entsetzter Zug um die Lippen.
Als Nächstes wurde ich von der Sekretärsassistentin zu einem Turborundgang durch die Bibliothek entführt. Während wir im Sauseschritt durch unterirdische Gänge, Lesesäle mit hohen Decken und riesige, schwach erleuchtete und mit Bücherregalen voll gestopfte Keller flitzten, in denen das Summen ferner Maschinen zu hören war, flogen mir historische Daten und Fakten um die Ohren.
Schließlich wurde ich in der Erfassungsabteilung abgeladen, der mit Abstand größten Abteilung der Bibliothek. Man wies mir einen Platz am Schreibtisch neben dem meines Mentors zu. Mein Mentor war ein ältlicher Gentleman, dessen Aufgabe es sein sollte, mich in die Bucherfassung nach den Regeln der Bodleian Bibliothek einzuweisen. Unter seiner Aufsicht arbeitete ich wie ein mittelalterlicher Lehrling mit seinem Meister. Es machte mir Spaß, die Katalogregeln zu lernen: Sie schienen in der Absicht erstellt zu sein, die Bücher so gut zu verstecken, dass nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten sie je wiederfinden konnte.
Die in dieser Abteilung geforderten Qualifikationen bestanden hauptsächlich in einer sauberen Handschrift (es gab keine Schreibmaschinen) und der grundsätzlichen Ablehnung, Verantwortung für die eigenen Fehler zu übernehmen. Ich passte also wunderbar dazu. Über die Jahre habe ich mich höher und höher gearbeitet, bis ich meine derzeitige Stellung innehatte. Wie schon in anderen Situationen meines Lebens konnte ich auch hier wieder feststellen, dass es im Streben nach Anerkennung und Weiterkommen durchaus förderlich ist, wenn man eine Lüge glatt über die Lippen bringt.
So hätte es weitergehen können, wenn nicht ein vorwärts blickender Bibliothekar eines Tages die Idee gehabt hätte, die Bodleian samt allen angeschlossenen Bibliotheken und Fachbibliotheken mit einem Schlag ins letzte Viertel des zwanzigsten Jahrhunderts zu versetzen. Man begann, über Computer, Systeme, Datenbanken und Netzwerke zu sprechen. Leute, die sich der Anschaffung von Schreibmaschinen widersetzt hatten, sahen sich plötzlich gezwungen, mit Tastatur und Bildschirm fertig zu werden. Neue Angestellte übernahmen die Führungsetagen. Ihr Computerjargon und ihr Managementgefasel waren Lichtjahre von unseren kleinen, dunklen Kellerbüros entfernt.
Unsere Bibliothek erhielt einen neuen Manager, dessen
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