Letzte Ausfahrt Oxford
seinem Rücken erhaschte Kate einen Blick auf einen wahren Dschungel grüner Stängel und Blätter, die sich an Bücherregalen herunterringelten und um Karteikästen schlangen. Ihr schien es, als richte Tabbot seine ganze Lebensenergie auf die Aufzucht und Pflege von Grünpflanzen.
»Die Tür zu öffnen, würde sowohl der Luftfeuchtigkeit als auch der Temperatur schaden.«
Sie gingen weiter in den Lesesaal. Überall hingen handgeschriebene Zettel, die den Studenten das Rauchen, Trinken, Essen, Reden und Herumlaufen verboten und ihnen untersagten, die Füße auf die Schreibtische zu legen, Bücher zu beschädigen, sich mit Freunden zu treffen, mehr als sechs Bücher zu entleihen und vor neun Uhr morgens oder gar am Sonntag in die Bibliothek zu kommen. Kein Wunder, dass alle ziemlich eingeschüchtert und elend aussahen. Andererseits wirkte der Ort so alt und ehrwürdig, dass Kate sich kaum vorstellen konnte, hier etwas so Vulgärem wie gewöhnlichem Diebstahl auf die Spur zu kommen. Allenfalls einer etwas allzu ausgedehnten Ausleihe, aber das dürfte es auch schon gewesen sein.
»Wir benutzen ein abgewandeltes Dewey-System«, erklärte Tabbot und stürmte mit ihr zwischen dunklen, hohen Regalen und mit schweigenden Studenten besetzten Tischen hindurch. »Nehmen Sie sofort die Sporttasche da weg«, zischte er einen Studenten an und fuhr im gleichen Atemzug fort: »Englische Literatur, Geschichte, Wirtschaftswissenschaften.« Kate musste fast rennen, um mit ihm Schritt zu halten. »Ich bin sicher, Sie werden sich schnell zurechtfinden.«
»Können Sie mir bitte sagen, wie lange Sie schon an den Zentralrechner der Bibliotheken angeschlossen sind?«, schnaufte Kate hinter ihm.
»Seit etwas mehr als einem Jahr. Ein Jahr zu lange, wenn Sie mich fragen.« Sein steifbeiniger Gang drückte seine Missbilligung nur allzu deutlich aus. »Warum will man unsere Bibliothekskataloge für Krethi und Plethi zugänglich machen? Wenn das so weitergeht, kommt demnächst irgendwelcher Pöbel angelatscht und will unsere Bücher sehen. Leute aus Irland und Schottland, vielleicht sogar aus dem Ausland.«
»Haben Sie damit ein Problem?«, wollte Kate wissen. »Kommen mehr Bücher abhanden, wenn sie von Fremden benutzt werden?«
»Das weiß ich nicht. Dazu müsste ich in meinen Aufzeichnungen nachsehen. Überhaupt – wie definieren Sie eigentlich ein abhanden gekommenes Buch?« Natürlich war diese Frage nicht zu beantworten. Sie hasteten um die nächste Ecke und prallten auf einen jungen, nervös aussehenden Mann.
»Michael Ennis«, stellte Tabbot vor. »Unser Bibliotheksassistent.«
Ennis war unter dreißig, blond und trug einen Grobstrickpullover mit V-Ausschnitt.
»Mick«, berichtigte der junge Mann und streckte Kate seine Hand entgegen.
»Na dann eben Mick, wenn Sie unbedingt auf dem Kosenamen bestehen«, brummelte Tabbot. »Aber gut, dass wir Sie gefunden haben. Sie dürfen Miss Ivory den Rest der Bibliothek zeigen.«
»Kate«, sagte Kate, die absolut keine Lust hatte, während ihrer Zeit im St. Luke’s dauernd Miss Ivory genannt zu werden.
Tabbot verschwand, und Ennis begleitete sie die Treppe hinunter in einen helleren, etwas moderner wirkenden Raum.
»Hier befinden sich die Abteilungen Mathematik und Naturwissenschaften«, sagte er. »Außerdem das Terminal, an dem die Leser recherchieren können. Tabbot nimmt es nicht zur Kenntnis. Wir haben alle Neuzugänge des laufenden Jahres und ein paar von unseren Sammlungen zu speziellen Themen inzwischen in die Datenbank eingegeben. Aber der größte Teil unseres Katalogs wird immer noch vermittels Karteikarten verwaltet.«
»Macht es Ihnen nichts aus, dass Ihr Computer hier ziemlich weitab vom Schuss steht?«, fragte Kate. »Könnte sich hier nicht jemand in die Datenbank einloggen und Schindluder damit treiben?«
»Das ist nur ein Terminal«, gab Mick zurück. »Damit kann man zwar lesen, was wir bereits eingegeben haben, aber man kann damit sonst nichts machen. Für Ihre Nacherfassung werden Sie natürlich an einem anderen Gerät sitzen.« Mit diesen Worten geleitete er sie einige zusätzliche Stufen hinunter. Durch einen langen Gang erreichten sie ein winziges Zimmerchen, das früher einmal ein Wandschrank gewesen sein musste.
»Hier sehen Sie, was Tabbot von moderner Technologie hält«, sagte Mick entschuldigend. »Nichtsdestoweniger erfüllt es die Anforderungen der Universität an Licht- und Luftzufuhr, und der Stuhl hier lässt sich individuell einstellen. Also keine
Weitere Kostenlose Bücher