Letzte Bootsfahrt
Staatsanwalt telefoniert.“
Der Regen war in der Zwischenzeit stärker geworden. Als sich der Kahlß Friedrich zu ihnen gesellte, stellte Gasperlmaier fest, dass dessen Uniformrock an den Schultern schon völlig durchnässt war. Plötzlich zauberte er aus der Innentasche desselben einen winzigen Knirps hervor, spannte ihn auf und hielt ihn der Frau Doktor galant über den Kopf. Grotesk sah das aus, fand Gasperlmaier, der wuchtige Friedrich mit dem winzigen Schirm in seiner Pranke. „Wenn wir noch was zu besprechen haben, gehen wir ins Wirtshaus hinüber, Frau Doktor!“, sagte der Friedrich. „Die Journalistin hab ich vertrieben. Gesagt hab ich ihr nichts.“ Die Maggie, so dachte Gasperlmaier bei sich, die hatte wohl eher der Regen vertrieben als der Friedrich. So üppig, wie die geschminkt war, durfte man sich nicht in den Regen wagen, denn da begann sicher gleich alles zu rinnen.
In der Wirtsstube war es wohlig warm, und als sich Gasperlmaier auf einer Fensterbank niederließ und die Beine unter den Tisch streckte, überkam ihn eine angenehme Schläfrigkeit. Es war ein anstrengender Tag gewesen, fand er, und er war noch keineswegs vorbei. Der Friedrich bestellte zwei Bier. Gasperlmaier war dabei nicht recht wohl, denn wenn die Maggie wieder auftauchen sollte, würde die nicht davor zurückscheuen, sie, diesmal vielleicht wegen Trunkenheit im Dienst, in ihrem Schmierblatt durch den Kakao zu ziehen. „Möchten Sie vielleicht einen Kakao?“, fragte Gasperlmaier die Frau Doktor, einerseits, weil er gerade an Kakao gedacht hatte, andererseits, weil er sehen konnte, wie die Frau Doktor fröstelte. Ihr Gewand war ja auch wirklich nicht für dieses Wetter und die Jahreszeit geeignet. „Danke, Gasperlmaier, wie aufmerksam von Ihnen.“ Das Lächeln, das sie ihm schenkte, wärmte Gasperlmaier so sehr, dass ihn ein tiefer Schluck von dem eiskalten Bier, das die Kellnerin ihm hinstellte, kaum abkühlte.
„Rekapitulieren wir“, sagte die Frau Doktor, nachdem sie den ersten Schluck von ihrem heißen Kakao genommen hatte. „Debreziner oder Frankfurter? Oder magst eine Scharfe, Gasperlmaier?“, fragte der Friedrich dazwischen. Gasperlmaier konnte nicht verhehlen, dass sich bei ihm zwar noch kein Hunger, aber ein wenig Gusto eingestellt hatte. Er staunte über sich selbst, dass ihn der grausige Anblick des Manzenreiter Sepp weniger als erwartet mitgenommen hatte, sodass er schon wieder Lust auf Essen hatte. Am Ende hatte es ihn doch schon ein wenig abgehärtet, dass er mit der Frau Doktor ständig übel zugerichtete Leichen zu begutachten hatte.
„Drei Tote“, setzte die Frau Doktor fort. „Alle im gleichen Alter, alle aus dem gleichen Umfeld, alle auf die gleiche Weise ermordet: Der Täter bringt keine Mordwaffe mit und entkleidet seine Opfer teilweise. Wissen Sie, was ich mir dabei denke?“ Gasperlmaier wusste nicht recht, ob die Frau Doktor die Frage sich selbst oder einem von ihnen gestellt hatte. Aber sie redete ohnehin gleich weiter. „Der Täter trifft die Opfer nicht in der Absicht, sie zu töten. Er will was anderes von den Opfern. Und einen Beweis“, sagte sie, „haben wir dafür auch schon. Der Manzenreiter hat nämlich einen Drohbrief bekommen.“ Die Frau Doktor zog aus ihrer Handtasche eine Klarsichthülle mit einem Briefbogen, auf den aus Zeitungen ausgeschnittene Buchstaben geklebt waren. „Gib es zu, sonst bist du tot!“, stand da. In viel kleineren Buchstaben hatte der Schreiber noch dazugeklebt: „Dienstag, 15:00, Pötschenhöhe“. „Den Zettel haben wir im Handschuhfach gefunden. Das erklärt auch, warum der Manzenreiter heute früh auf dem Wochenmarkt so nervös war. Vielleicht hat er gehofft, den Täter noch überzeugen oder mit Geld ruhigstellen zu können.“
Gasperlmaier besah sich das Schriftstück genauer. Die Buchstaben, da war er sich sicher, waren aus der Krawallzeitung der Maggie Schablinger ausgeschnitten. Kein Wunder, dachte er bei sich, dass jemand gewalttätig wurde, wenn er so einen Schund las. „Er will also“, setzte die Frau Doktor fort, „dass irgendwas zugegeben wird. Er plant nicht, sie umzubringen, er tut es, weil sie nicht kooperieren. Mit irgendwas, das gerade zur Hand ist. Die Klomuschel, ein Hammer, der Grillspieß.“
Die Frau Doktor unterbrach ihren Vortrag, als die Kellnerin die Debreziner vor den Friedrich und Gasperlmaier hinstellte. Diese schielte nach der Folie mit dem Drohbrief, den die Frau Doktor daraufhin schnell wieder in ihrer Handtasche
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