Letzte Bootsfahrt
verschwinden ließ. Gasperlmaier erinnerte sich gar nicht, eine Auswahl getroffen zu haben, war aber mit der Bestellung des Friedrich ganz zufrieden. Als sich die Kellnerin entfernte, sprach die Frau Doktor weiter. Gasperlmaier fiel auf, dass die Kellnerin nur zwei Tische entfernt versuchte, recht unauffällig herumzustehen, um ihre Unterhaltung zu belauschen. Dennoch ließ sich die Frau Doktor nicht aufhalten. „Es kommt also jemand aus dem Freundeskreis der damaligen Zeit in Frage. Von denen, die wir kennen, ist nur mehr der Herr Lukas am Leben, aber es ist nicht auszuschließen, dass es da noch andere Freunde gegeben hat. Erinnern Sie sich, was für Leute aus dieser Altersgruppe noch auf dem Begräbnis der Frau Voglreiter waren, Gasperlmaier?“
Gasperlmaier konnte nicht gleich antworten, denn er hatte den Mund voll. Außerdem standen auf den Begräbnissen immer haufenweise alte Weiber herum, weil sie ja anscheinend nichts Besseres zu tun hatten, als auf dem Friedhof bittere Tränen zu vergießen, dachte Gasperlmaier bei sich. Sagen aber wollte er das nicht, so zuckte er zunächst nur mit den Schultern, um anschließend möglichst neutral zu formulieren: „Da waren viele alte Leute …“ Was er dazuzusagen vergaß war, dass er sich keinen von den alten Herrschaften als Serienkiller vorstellen konnte. Wer dem Sepp den Grillspieß in die Seite gerammt hatte, musste eine ganz ordentliche Kraft und eine Mordswut gehabt haben.
„Ferner ist da noch die Familie Voglreiter“, überlegte die Frau Doktor weiter. „Gibt es da wen, dem wir eine solche Tat zutrauen können, vielleicht als Rache für einen Vorfall, von dem die Familie erst nach dem Tod der Frau Voglreiter erfahren hat?“ Gasperlmaier erinnerte sich, dass der Loisl, der Sohn der alten Voglreiterin, beim Begräbnis recht mürrisch und einsilbig gewesen war, was ja an sich keine Besonderheit darstellte, wenn einem die Mutter gestorben war. Erst nach dem zweiten Seidel war er ein wenig aufgetaut, und sie hatten sich eine Zeitlang recht angeregt über die Geschichten unterhalten, die sie als Buben so zusammen getrieben hatten. Für einen Mörder allerdings hielt Gasperlmaier den Loisl nicht. „Da gibt es einmal den Loisl“, übernahm nun der Friedrich das Wort. „Das ist der Sohn von der alten Voglreiterin. Außerdem ist da noch ihr Bruder, der Toni. Der ist vielleicht fünf, sechs Jahre jünger als sie. Dann gibt es die Schwester, die heißt Mathilde, und dem Loisl seine Frau, die Bruni. Sonst fällt mir niemand ein. Zumindest niemand Erwachsener. Der Loisl hat, glaub ich, zwei Kinder, und die Mathilde vier. Die sind aber alle noch in der Schule.“
„Ja!“, sagte die Frau Doktor. „Dann werden wir zuerst einmal diesem Loisl einen Besuch abstatten. Wir müssen ihn ja ohnehin über die Exhumierung seiner Mutter informieren. Das wird eine Freude!“ Gasperlmaiers fragende Blicke veranlassten die Frau Doktor zu einer näheren Erklärung. „Über nichts regen sich die Leute so auf wie über eine Exhumierung.“ Sie stand auf, obwohl Gasperlmaier sein Bier noch nicht ausgetrunken hatte. Schnell leerte er das Glas mit einem großen Schluck, denn die Frau Doktor machte nicht den Eindruck, dass sie lang auf ihn warten wollte.
Gasperlmaier schlug die Autotür zu. Er hatte die Frau Doktor im Einsatzwagen des Polizeipostens vom Pötschen herunterchauffieren müssen, denn der Audi stand längst auf der Ladefläche des Abschleppwagens. Einige tiefe Seufzer waren der Frau Doktor entfahren, als sie die Bescherung noch einmal genauer unter die Lupe genommen hatte. Schließlich hatte sie sich aber doch von ihrem Audi verabschieden müssen.
Der Loisl und seine Frau bewohnten ein relativ neues Haus in Puchen, das aber ganz im Stil der traditionellen Ausseer Häuser gehalten war, mit einer hölzernen Veranda, grünen Fensterläden und der obligatorischen Satellitenschüssel. Der Garten schien Gasperlmaier sehr gepflegt, gleich neben dem Haus stand ein Holzbau, der zwei Garagen und wahrscheinlich noch einige Nebenräume enthielt. Gasperlmaier kannte das Haus, er kam ja oft hier vorbei, drinnen gewesen war er allerdings noch nicht. „Ob da ein schwarzer Golf in der Garage steht?“, fragte ihn die Frau Doktor angesichts der geschlossenen Garagentore. Da müsste der Loisl aber schön blöd sein, dachte Gasperlmaier bei sich, wenn er zuerst den Audi der Frau Doktor abschoss und dann seelenruhig in seiner eigenen Garage parkte.
Die Frau Doktor läutete, und schon
Weitere Kostenlose Bücher