Letzte Bootsfahrt
hatte, musste wirklich entsetzlich gewesen sein.
„Ein schwarzer Golf hat uns angefahren. Haben Sie einen gesehen?“ Der Mann schüttelte den Kopf. „Ich bin aus dem Wirtshaus heraus, weil ich einen Tuscher gehört hab.“ Er wies mit der Hand hinter sich, in die Richtung des Gasthauses Pötschenhöhe, das durch einen Schotterwall ihren Blicken verborgen war. „Braucht’s ihr wirklich keine Hilfe?“ Die Frau Doktor schüttelte den Kopf. „Danke, nein. Ich kümmere mich selber darum. Trotzdem, herzlichen Dank.“ Der Mountainbiker warf zwischen Gasperlmaier und der Frau Doktor neugierige Blicke auf den Hendlwagen. „Ist da auch was passiert, da hinten?“, fragte er. „Bitte, fahren Sie jetzt weg. Hier wird’s einen Polizeieinsatz geben. Ich darf Sie dort nicht hinlassen.“ Sie unterstrich ihre Aufforderung mit ein paar eindeutigen Gesten.
„Gasperlmaier, Sie bewachen mir das Fahrzeug“, ordnete sie an, nachdem der Mountainbiker zögernd umgedreht hatte und sein Rad langsam auf den Parkplatz hinunterrollen ließ. „Ich muss telefonieren. Spurensicherung, Bestatter und so weiter.“
Gasperlmaier lief es kalt den Rücken hinunter. Sollte er einmal Nachschau im Hendlwagen halten? Einerseits hatte er gar nichts für Leichenbeschau übrig, schon gar nicht, wenn mit Blut zu rechnen war. Andererseits aber zog ihn die offene Fahrertür irgendwie magisch an. Er machte ein paar Schritte auf das Auto zu. Jetzt konnte er erkennen, dass der Sepp auch aus dem Mund geblutet hatte. Er trug nur ein Unterleiberl, das unterhalb der Träger tiefrot eingefärbt war. Anscheinend, so dachte Gasperlmaier bei sich, war dem Sepp beim Hendlbraten so heiß geworden, dass er es vorgezogen hatte, im Unterleiberl heimzufahren. Gasperlmaier wagte sich an der Autotür vorbei und konnte verstehen, warum die Frau Doktor aufgeschrien hatte. In der Seite des Manzenreiter Sepp steckte ein Grillspieß, ein langer, der sechs Hühner fassen konnte. Viel Blut hatte der Sepp verloren, es breitete sich über die Tür und den Fußraum aus und war sogar die Stufen hinuntergetropft, die zum Führerhaus führten. Und es tropfte immer noch.
Gasperlmaier konnte sich, obwohl er bereits spürte, wie ihm übel wurde, nicht von dem schauerlichen Anblick losreißen. Auch dem Sepp hatte der Täter die Hose hinunterziehen wollen, der Hosenbund und der Gürtel waren geöffnet. Doch dann hatte der schwere Körper des Sepp offenbar Widerstand geleistet, und der Täter hatte Hose und Unterhose einfach aufgeschnitten, sodass auch in diesem Fall die Genitalien deutlich sichtbar waren. Eines Beweises, fand Gasperlmaier, dass sie es hier mit einem Serienmörder zu tun hatten, bedurfte es nun nicht mehr. Er wandte sich ab, suchte sich einen Baumstamm in einiger Entfernung vom Hendlwagen und sank darauf nieder. Deutlich spürte er, dass die Stelzensemmel versuchte, wieder hochzukommen, und beruhigte sich selbst durch gleichmäßige, tiefe Atemzüge.
Wenige Minuten später glich der Steinbruch einem Rummelplatz. Polizei, Feuerwehr, Abschleppdienst und Bestattung waren aufgefahren, ein wahres Meer von blauen Lichtern durchzuckte den Steinbruch, während Gasperlmaier am Absperrband an der Schotterstraße Wache hielt, damit niemand dem Tatort zu nahe kam. Trotz des miserablen Wetters hatten sich mehrere Radfahrer und Wanderer eingefunden, die mit neugierigen Blicken versuchten, den Nieselregen zu durchdringen und irgendwas von der Bluttat mitzubekommen. Auch einige Autos hatten angehalten. Wo Blaulicht war, gab es schließlich immer etwas zu sehen. „Habt’s an Toten?“, schnaufte eine noch junge, aber sehr beleibte Frau, die gerade aus einem alten Auto mit trübem Lack und vielen Roststellen ausgestiegen war. „Ich hab gehört, da hat sich einer in die Luft gesprengt“, belehrte sie der weißhaarige Mountainbiker von vorhin, der wieder zurückgekehrt war. „So sagen S’ doch was, Herr Inspektor!“, meldete sich die Dicke wieder zu Wort, während sie sich eine Zigarette anzündete. „Es gibt keine Informationen an Außenstehende!“ Gasperlmaier griff zu dem Standardsatz, den er sich für solche Gelegenheiten zurechtgelegt hatte. Gleichzeitig hoffte er, dass keine Journalisten hier auftauchen würden, insbesondere nicht die Maggie Schablinger. Er hätte nicht gewusst, wie er sie diesmal aufhalten hätte sollen, wenn sie wieder versucht hätte, die Absperrung zu durchbrechen.
„Schleicht’s euch, alle miteinander! Wir brauchen hier die Ausfahrt frei!“ Von
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