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Letzte Bootsfahrt

Titel: Letzte Bootsfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Dutzler
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verändert, sie schien plötzlich ungehalten.
    „Frau Voglreiter, es ist Folgendes.“ Die Frau Doktor bemühte sich um einen beruhigenden, sachlichen Ton. „Wir haben jetzt drei Tote aus dem Umfeld Ihrer Schwiegermutter. Mit ihr sogar vier. Und wir vermuten, dass diese Mordfälle, beziehungsweise Todesfälle, mit einem Ereignis zusammenhängen, in das Ihre Schwiegermutter in irgendeiner Weise involviert war. Das Ganze hat sich offenbar vor mehr als fünfzig Jahren zugetragen.“ Die Frau Doktor atmete tief durch. Gasperl­maier merkte, dass es ihr schwerfiel zu sagen, was gesagt werden musste. „Und wir müssen Ihre Schwiegermutter exhumieren. Um sicherzustellen, dass sie nicht etwa einem Verbrechen zum Opfer gefallen ist. Das muss sein.“
    Die Frau Voglreiter starrte sie mit offenem Mund an und stürzte ihren Schnaps hinunter. „Exhumieren? Was heißt das genau?“, flüsterte sie. „Dass ihr Grab geöffnet und der Leichnam nochmals in der Gerichtsmedizin untersucht wird.“ Die Frau Doktor hatte leise, fast widerwillig gesprochen. Plötzlich schluchzte die Frau Voglreiter auf. „Das geht doch nicht! Das dürft’s nicht! Der Loisl wird sich so aufregen! Er ist doch so gehängt an seiner Mutter! Nicht einmal Weihnachten haben wir zu Hause feiern dürfen, wegen der Mutter, damit immer alles so ist, wie sie es gewohnt war!“ Was die Exhumierung der Voglreiterin jetzt mit Weihnachten zu tun hatte, das war Gasperlmaier nicht restlos klar, aber auch er verstand, dass sich eine kleine Familientragödie hinter dem Ausbruch der Frau Vogl­reiter verbarg. Auch in seiner Familie war das mit Weihnachten ein wenig Überzeugungsarbeit gewesen, doch die Christine hatte eine klare Entscheidung getroffen: Kinder feiern Weihnachten daheim! Und sie hatte die Mutter sanft und langsam, aber bestimmt davon überzeugt, dass es so recht war.
    Die Frau Voglreiter schaute jetzt richtig verzagt drein, holte ein Taschentuch irgendwo aus den Tiefen ihres Dirndls und schniefte ein paarmal heftig. „Wann können wir denn mit Ihrem Mann sprechen, Frau Voglreiter?“, fragte die Frau Doktor. „Hab ich eh schon gesagt!“, schniefte die weiter. „Vor sechs kommt er sicher nicht heim. Wenn er gleich ins Haus von der Schwiegermutter hinüberfährt, wegen dem Entrümpeln, dann wird es noch später.“ „Gut!“, sagte die Frau Doktor und erhob sich. „Dann lassen wir Sie jetzt in Frieden.“ Gasperlmaier stand ebenfalls auf. Ein leichter Schwindel erfasste ihn, ihm war, als leide er unter Gleichgewichtsstörungen. Das konnte doch nicht wegen der drei Schnäpse und dem einen Bier von der Pötschenhöhe sein? Womöglich stimmte mit dem Schnaps vom Aschauer Otto irgendwas nicht. Der hatte ja auch gebrannt wie Feuer. Hoffentlich, so dachte er bei sich, würde er nicht blind werden.
    Als sich Gasperlmaier der Fahrertür zuwandte, hatte die Frau Doktor schon die Hand an den Türgriff gelegt. „Nein, nein!“ Mit dem Wackeln des Zeigefingers unterstrich sie ihre Überzeugung, dass Gasperlmaier nicht mehr fahrtauglich war. Er wollte schon protestieren, überlegte es sich aber anders, als er fast über seine eigenen Füße gestolpert wäre. Folgsam tappte er zur Beifahrertür.
    „Eine unmögliche Kiste!“, schimpfte die Frau Doktor, als sie aufs Gas trat und sich nur wenig rührte. „Wie viel PS hat denn der Kübel?“ „75, glaub ich“, sagte Gasperlmaier. „Dass sie euch mit so was fahren lassen! Eine Schande!“, schimpfte die Frau Doktor. „Wie kommen wir jetzt zur Schwester, zur Mathilde?“ Gasperlmaier musste gestehen, dass er keine Ahnung hatte, wo die wohnte, geschweige denn, wie sie mit Nach­namen hieß. Er hatte sie zwar auf dem Begräbnis gesehen, ob sie allerdings verheiratet war, hatte sich dabei nicht herausgestellt. Ein Mann war jedenfalls nicht bei ihr gewesen, immerhin aber hatte sie vier Kinder. „Wir rufen einfach den Friedrich an“, entschied Gasperlmaier. „Der kennt alle Leute hier herinnen.“ Seufzend hielt die Frau Doktor den Einsatzwagen in einer Bushaltestelle an. „Aber bitte flott, wenn’s geht. Wir haben’s eilig, wir müssen ja auch noch den Herrn Lukas einvernehmen!“
    Die Mathilde trafen sie schließlich nicht bei ihr zu Hause an, sondern im Haus der Voglreiter Friedl, wo sie gerade dabei war, die Bücherregale auszumisten. Als sie der Frau Doktor und Gasperlmaier öffnete, hatte sie gerade einen alten Heimatroman in der Hand. Vorne auf dem Umschlag sah man ein paar wettergegerbte Gestalten, ein

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