Letzte Bootsfahrt
fest, was Gasperlmaier schon seit etwa zwanzig Minuten wusste. „Aber noch nicht lange.“ „Die Ehefrau sagt, sie ist um halb drei einkaufen gegangen.“ Der Doktor blickte auf seine Uhr. „Jetzt ist es vier vorbei. Ich würde sagen, dann ist er nicht lang nach halb drei gestorben.“ Der Doktor beugte sich noch einmal tief über den Hals des Toten, richtete sich dann auf und blickte Gasperlmaier und dem Friedrich ernst ins Gesicht. „Könnte auch vor halb drei gewesen sein. Das muss bei der Obduktion geklärt werden. Was aber entscheidender ist – ich kann Fremdverschulden nicht ausschließen. Da sind deutliche Hämatome am Hals sichtbar, auch Kratzspuren. Vor dem Tod zugefügt. Muss ja nichts heißen, vielleicht haben sich die beiden heiß geliebt.“ Der Doktor grinste. Gasperlmaier nickte dem Friedrich wissend zu. Er hatte es ja gleich gesagt, aber sein Postenkommandant hatte ihm nicht glauben wollen. „Ihr holt besser die Spurensicherung. Und wenn die attraktive Kommissarin kommt, hätte ich auch nichts dagegen!“, fügte der Doktor hinzu. Gasperlmaier fand es völlig unangemessen, dass der Doktor ihnen verschwörerisch zuzwinkerte.
Natürlich wusste Gasperlmaier genau, wen er meinte. Frau Doktor Kohlross vom Bezirkspolizeikommando in Liezen hatte schon bei mehreren Gelegenheiten Ermittlungen im Ausseerland geleitet, und Gasperlmaier war etliche Male ihr ortskundiger Begleiter gewesen. Die Frau Doktor Kohlross hatte bei Gasperlmaier sowohl, was ihr Äußeres betraf, als auch von ihrer Persönlichkeit her einen tiefen Eindruck hinterlassen, sodass in ihm etwas wie Eifersucht aufkeimte, sobald irgendjemand anderer eine anzügliche Bemerkung über sie fallen ließ. Gasperlmaier selbst überlief ein wohliger Schauer bei dem Gedanken, dass sie womöglich bald wieder hier auftauchen würde, um in einem Mordfall zu ermitteln. Wenn es denn einer war.
Während der Friedrich schon mit der Kriminalpolizei telefonierte, packte der Doktor Walter seine Sachen zusammen und verschwand im Wohnzimmer, um nach der Frau und der Tochter des Verstorbenen zu sehen. Gasperlmaier folgte ihm. „Mein aufrichtiges Beileid, die Damen.“ Der Doktor schüttelte mit ernster Miene der Frau und der Tochter die Hand, worauf Gasperlmaier einfiel, dass er und der Friedrich das unterlassen hatten. Was ihm jetzt ziemlich peinlich war.
Gasperlmaier neigte seinen Kopf nach vorne, um das unangenehme Ziehen in Nacken und Schulter, unter dem er seit einem Unfall vor einiger Zeit litt, ein wenig zu lindern. „Geht es Ihnen halbwegs?“, fragte der Doktor die Frau Breitwieser. „Soll ich Ihnen ein Beruhigungsmittel geben?“ Die Frau Breitwieser schüttelte den Kopf. „Dem Herrn Inspektor, dem geht es nicht gut. Ist etwas mit Ihrem Hals?“ Gasperlmaier fühlte sich ertappt und stellte sich kerzengerade hin. Die Frau Breitwieser stand auf, griff sich einen durchlöcherten blauen Stein aus einem der Regale und drückte ihn dem verblüfften Gasperlmaier in die Hand. „Aquamarin!“, flüsterte sie, „für ihr Hals-Chakra! Vishudda!“ Gasperlmaier wusste nicht recht, wie er reagieren sollte. Der Doktor sah belustigt zu ihm hin. Die Frau Breitwieser hingegen hielt die Hand auf. „Zwanzig Euro!“ Gasperlmaier merkte, wie Hitze in ihm aufstieg. Gleich würde er rote Ohren bekommen. „Entschuldigen Sie, Frau Breitwieser“, fiel es ihm gerade noch rechtzeitig ein. „Ich will eigentlich keinen Stein kaufen.“ Die zischte verächtlich. „Kaufen! So was kann man nicht kaufen! Das Geld ist lediglich eine Form des Energieaustausches! Wer braucht schon Geld!“
Gasperlmaier ergriff die Flucht. Draußen vor dem Haus überlegte er, ob er nicht ohnehin zu seiner Mutter und dem Schneiderwirt zurückkehren konnte. Mit ein paar geflüsterten Worten, damit der Friedrich nicht beim Telefonieren gestört würde, machte Gasperlmaier ihm seine Absicht klar. Der Friedrich verstand, nickte und winkte. Gasperlmaier machte sich schnellen Schrittes auf den Weg zum Schneiderwirt. Er fror.
2
In der Wirtsstube fand Gasperlmaier vielleicht noch zehn, fünfzehn Gäste des Leichenschmauses vor. Der Loisl stierte mit glasigen Augen auf die Tischplatte, während seine Schwester und seine Frau in ein angeregtes Gespräch vertieft waren. In einem zweiten Grüppchen sah Gasperlmaier seine Mutter, zusammen mit dem Doktor Schwaiger und einem weiteren Herren. Die Mutter hielt sich gerade, mädchenhaft kichernd, die Hand vor dem Mund. Vor ihr stand ein Glas, halb voll
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