Letzte Bootsfahrt
von Wiesen umgebenes Bauernhaus und einen hohen Gipfel im Hintergrund. „Das Stierhorn“ hieß er, von einem gewissen Oberkofler, wie Gasperlmaier lesen konnte.
Die Mathilde führte sie ins Wohnzimmer. Weit war sie mit dem Ausräumen noch nicht gekommen. Am Boden stand eine Kiste, in der sich vielleicht fünf Bücher befanden. „Ich weiß ja nicht, ob man’s noch brauchen kann!“, jammerte sie, „ob das noch jemand lesen will!“ Sie klappte das „Stierhorn“ zu, wodurch eine kleinere Staubwolke entstand, und stellte es ins Regal zurück. „Ist ja eigentlich noch gut, oder?“, fragte sie. Gasperlmaier hütete sich davor, Ratschläge in irgendeiner Richtung zu geben. „Wir sind eigentlich wegen den Todesfällen da“, sagte die Frau Doktor. Die Mathilde schaute verwundert. „Und was wollen S’ da von mir?“ „Frau Haselbrunner, fahren Sie oder Ihr Mann einen schwarzen VW Golf?“ Die Mathilde warf einen misstrauischen Blick mehr ins Bücherregal als zur Frau Doktor hin. „Wir suchen den Fahrer eines solchen. Im Zusammenhang mit den Todesfällen“, hielt sich die Frau Doktor bedeckt.
Gedankenverloren nahm die Mathilde einen Staubwedel und wischte das Regal, in das sie das „Stierhorn“ gerade zurückgestellt hatte. „Mein Mann hat gar keinen Führerschein“, flüsterte sie dann. „Den habt’s ihr ihm genommen. Und jetzt liegt er daheim und sauft sich jeden Tag an.“ Plötzlich wurden die Augen der Mathilde nass, ein paar Tränen rannen ihr die Backen hinunter, als sie sich in einen alten Sessel setzte, der vor dem Bücherregal stand. Die Frau Doktor reichte ihr ein Papiertaschentuch. „Das tut mir leid“, sagte sie, recht gefühlvoll, wie Gasperlmaier fand. Jetzt erinnerte er sich daran, dass ein gewisser Haselbrunner schon öfters wegen Alkohol am Steuer aufgefallen war. Er selber hatte ihn allerdings Gott sei Dank nie erwischt und ihm daher auch seinen Führerschein nicht abgenommen. Und mit der Mathilde in Zusammenhang gebracht hatte er den natürlich auch nicht.
„Und Sie selber?“, fragte die Frau Doktor dennoch nach. „Ich bin schon lang nicht mehr gefahren“, sagte sie. „Und einen schwarzen Golf schon gar nicht!“ „Wo waren Sie denn heute Nachmittag?“ „Nach dem Essen bin ich da her gefahren. Mit dem Radl. Und glauben Sie nicht, dass mein Mann vielleicht den Geschirrspüler einräumt!“, fügte sie vorwurfsvoll hinzu. Sie wischte sich über die Augen und seufzte tief. „Ja, Frau Haselbrunner, das war’s dann auch schon. Hoffen wir, dass sich Ihr Mann erfängt, wenn er seinen Schein wiederhat. Die Bücher geben Sie übrigens am besten dem Roten Kreuz. Und das da, „Das Stierhorn“, das schmeißen S’ lieber in den Kachelofen, der Oberkofler, der war nämlich ein alter Nazi.“ Die Frau Doktor drehte sich um, Gasperlmaier verabschiedete sich noch von der Mathilde und folgte ihr. Woher die Frau Doktor wusste, dass der Dichter Oberkofler ein alter Nazi gewesen war?
Im Auto fragte Gasperlmaier danach. „Ich hab mich schon in der Schule gern mit Literatur beschäftigt“, sagte sie, „und die schlechteste Literatur war mir immer die liebste. Ich bin mit meinen Freundinnen auf dem Balkon gesessen, und wir haben uns kaputtgelacht über diese entsetzlich pathetischen Heimatromane aus der Nazizeit. Meine Großmutter hat da eine ordentliche Sammlung gehabt, ähnlich wie die Frau Voglreiter.“ Gasperlmaier war erstaunt darüber, wo sich die Frau Doktor überall auskannte. Literatur, das war nicht sein Ding, obwohl ihn die Christine öfters zu einem Buch verführen wollte. „Das könnte dir gefallen“, sagte sie manchmal und legte ihm das Buch auf den Kopfpolster. Gasperlmaier aber fielen meist nach wenigen Seiten die Augen zu, und wenn er wieder zum Lesen kam, hatte er schon wieder vergessen, was sich auf den ersten paar Seiten abgespielt hatte. Ihm genügte eigentlich die Alpenpost. Und manchmal las er den Regionalteil in seiner Tageszeitung. Natürlich nicht im Schmierblatt der Maggie Schablinger, damit durfte man ihm nicht kommen.
Plötzlich klingelte Gasperlmaiers Handy. „Kommt’s zum Posten herauf“, sagte der Friedrich. „Ihr braucht’s nämlich nicht zum Lukas Pauli fahren, der ist schon da. Der hat auch so einen Drohbrief bekommen wie der Manzenreiter. Er soll morgen auf die Ruine Pflindsberg kommen, steht drinnen. Wollen tut er nicht, weil er da auch umgebracht wird, sagt er. Deswegen ist er zu uns gekommen.“ „Was ist los?“ Die Frau Doktor hatte
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