Letzte Bootsfahrt
erkannte Gasperlmaier ihn. Es war der Gaisrucker Marcel, ein weithin bekannter Hallodri, der sogar schon einmal als Mordverdächtiger ins Visier der Frau Doktor geraten war. Gasperlmaier nahm ihn am Arm und half ihm, auf die Füße zu kommen. Immer noch atmete der Marcel schwer. „Hast dir wehgetan?“, fragte Gasperlmaier. Der Marcel schüttelte den Kopf. „Geht schon!“ „Komm jetzt!“, befahl Gasperlmaier und fasste den Marcel wieder am Arm, der zwar ein wenig hinkte, ihm aber widerspruchslos folgte.
Die Frau Doktor hatte ihr Opfer ebenfalls wieder auf die Füße gebracht, und nun standen die beiden mit gesenkten Köpfen vor ihnen. „Den kennen Sie!“, sagte Gasperlmaier. „Das ist der Gaisrucker Marcel.“ „Und der andere?“, fragte die Frau Doktor. Gasperlmaier sah ihm ins Gesicht und schüttelte den Kopf. „Wie heißen Sie?“, fragte die Frau Doktor scharf. „Wer lasst fragen?“ Der Bursch grinste ihr unverschämt ins Gesicht. Gasperlmaier konnte der Bewegung der Frau Doktor mit den Augen nicht einmal folgen, so schnell hatte sie dem Burschen den Arm auf den Rücken gedreht, dass er laut aufstöhnte. „Die Kriminalpolizei!“, beantwortete sie nun seine Frage. „Loidl. Thomas Loidl!“, stöhnte der Bursch, worauf ihn die Frau Doktor wieder losließ. „Du darfst nicht glauben, dass du dich mit der Polizei spielen kannst!“, zischte sie. „Das geht vielleicht in der Schule mit den Lehrern, aber bei uns ist dann ganz schnell Schluss mit lustig. Was wollt ihr hier?“ Die beiden sahen sie verlegen an. Der Marcel fand als erster Worte. „Na ja, wir wollten halt die Leiche sehen. So zombiemäßig, und so. Ist ja cool, wenn jemand wieder aus dem Grab kommt.“ „So einen Blödsinn habe ich noch selten gehört!“, schimpfte die Frau Doktor. „Und darf ich fragen, von wem Sie die Information haben, dass hier heute eine Exhumierung stattfindet?“ Der Thomas Loidl brachte neuerlich den Mund nicht auf, der Marcel aber grinste schon wieder unverschämt. „Ex was? Wir haben nur gehört, dass die Voglreiterin wieder ausgegraben wird. Keine Ahnung.“ Gasperlmaier fragte sich, wovon der Marcel keine Ahnung hatte, denn verraten wollte er es ihnen anscheinend nicht. Wahrscheinlich aber war das nur eine modische Floskel, so wie die Vorarlberger nach jedem halben Satz einmal „oder“ sagten, flochten hierzulande die Jugendlichen ihr „keine Ahnung“ bei jeder passenden oder auch unpassenden Gelegenheit in ihr Gespräch ein. „Und wo habt ihr das gehört?“ Diesmal entschloss sich der Thomas Loidl zu einer Antwort. „Facebook halt!“ Gasperlmaier lief es kalt über den Rücken. Was, wenn diese Facebook-Spur zum Florian Prieler, zur Katharina und damit zu ihm nachzuverfolgen war? Was würde die Frau Doktor von ihm denken?
„Ihr zwei zeigt mir jetzt eure Ausweise, und dann verschwindet ihr von hier. Und wenn einer von euch irgendwelchen Unsinn über diesen Vorgang hier auf Facebook postet, dann werdet ihr mich erst richtig kennenlernen. Dann hetz ich euch die Datenschutzkommission auf den Hals, dass es nur so scheppert! Verstehen wir uns?“ Die beiden nickten und kramten in ihren Hosentaschen. Gasperlmaier bewunderte, wie es die Frau Doktor schaffte, sich bei zwei Burschen Respekt zu verschaffen, die beide mindestens einen Kopf größer waren als sie selbst. Der Marcel zuckte nur mit den Schultern, weil er nichts fand, der Thomas Loidl hingegen hielt ihnen einen Führerschein hin. Die Frau Doktor blickte kurz drauf, gab ihn zurück und sagte nur „Ab!“, worauf sich die beiden umdrehten und wortlos abzogen. In einiger Entfernung kommentierte der Thomas Loidl das Geschehen aber doch noch mit einem deutlich hörbaren „Fuck, Oida!“.
„Ich frage mich, welcher Idiot hier wieder eine Information durchsickern hat lassen! Facebook! Darf ja wohl nicht wahr sein. Wahrscheinlich war es einer von diesen beiden Schauflern da unten!“ Mit schnellen Schritten hielt die Frau Doktor wieder auf das Grab zu, während Gasperlmaier hinter ihr herhastete und überlegte, ob er nicht lieber gleich gestehen sollte, bevor sich die beiden Totengräber ungerechtfertigten Anschuldigungen ausgesetzt sahen. Die rettende Idee kam ihm, als sie wieder vor dem offenen Grab standen. Bevor die Frau Doktor noch die beiden Totengräber nach ihren Facebook-Aktivitäten fragen konnte, ergriff er das Wort. „Ich glaube eher, dass es die junge Frau Voglreiter gewesen ist, oder eins ihrer Kinder, die das unter die Leute gebracht
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