Letzte Bootsfahrt
verständigt hatte. Die Sache hatte glimpflich geendet, die Burschen hatten versichert, die Plätte nur ausgeliehen zu haben, der Besitzer hatte auf eine Anzeige verzichtet. Dennoch, ein unbeschriebenes Blatt war der Florian Prieler nicht. Gasperlmaier versuchte, ein möglichst kaltblütiges Gesicht aufzusetzen und ihn scharf anzublicken. Ob es ihm gelang, dessen war er sich nicht sicher. Allerdings wandte der Florian immer wieder seine Blicke ab, wenn sie sich mit denen Gasperlmaiers trafen. Er erinnerte sich sicher noch lebhaft an die Aufnahme des Protokolls auf dem Polizeiposten. Wenn Gasperlmaier es geschickt anstellte, dann hatte er den Florian in der Hand. Wenn der was tat, was ihm nicht passte, würde er damit drohen, der Christine oder der Katharina von dem Vorfall zu erzählen. Manchmal war es eben doch von Vorteil, ein Polizist zu sein. Gasperlmaier grinste, allerdings nur innerlich.
„Wir haben gar nichts dagegen, dass ihr euch trefft“, sagte die Christine, „aber ich frage mich, warum das hinter unserem Rücken sein muss. Warum ihr ausgerechnet einen Abend ausgesucht habt, an dem ihr allein im Haus seid.“ Die Katharina schwieg verstockt, der Florian blickte hilfesuchend zwischen ihr und der Christine hin und her. Anscheinend wusste er nicht, was er sagen sollte oder durfte. „Ich muss jetzt eigentlich heim!“, versuchte er sich aus der Affäre zu ziehen, was ihm einen hochgiftigen Blick der Katharina eintrug.
Gasperlmaier beschloss, endlich ins Bett zu gehen. Er war todmüde. „Willst du das jetzt nicht mit ausdiskutieren?“, fragte die Christine, als er sich erhob. „Ihr habt leicht reden!“, gab er zurück, „ihr könnt morgen alle ausschlafen. Ich muss um sechs zur Exhumierung der alten Voglreiterin.“ Plötzlich starrten ihn alle mit offenem Mund an, und Gasperlmaier wurde bewusst, dass er wieder einmal einen schweren Fehler gemacht hatte. Keinesfalls hätte er Außenstehenden etwas von diesem Vorhaben verraten dürfen.
„Ihr holt sie tatsächlich aus dem Grab? Cool!“ Die Katharina hatte sich erfangen und vergaß aufs Beleidigtsein. „Da muss ich unbedingt dabei sein. Gehst mit?“ Der Florian antwortete nicht gleich, offenbar immer noch unsicher, wie er sich verhalten sollte. „Auf keinen Fall!“, rief Gasperlmaier. „Das ist mir nur so rausgerutscht! Ihr dürft überhaupt keinem etwas davon erzählen! Gar keinem! Das ist ein Dienstgeheimnis!“ Die Katharina kicherte. „Dienstgeheimnis! Du plauderst doch sofort alles aus, was du weißt, wenn du heimkommst! Zumindest der Mama gegenüber!“
Gasperlmaier hatte gute Lust, dem vorlauten Fratzen gehörig das Maul zu stopfen, aber vor der Christine und dem Florian ging das wohl nicht. Er entschloss sich, seinen Trumpf gleich jetzt aus der Hand zu geben. „Wenn ihr etwas verratet, dann werd ich euch erzählen, warum der feine Herr da“, er deutete auf den Florian, „kürzlich mehr als eine Stunde mitten in der Nacht bei uns auf dem Polizeiposten gesessen ist, bis ihn seine Eltern abgeholt haben!“ Der Florian lief feuerrot an. Gut, dachte Gasperlmaier bei sich, war es wenigstens einmal nicht er, dem etwas so peinlich sein musste, dass ihm das Blut bis in die Ohren schoss. Er hatte genug von diesem mitternächtlichen Theater, stampfte die Stiege hinauf, schlug die Badezimmertür hinter sich zu und schnappte sich energisch seine Zahnbürste. Natürlich putzte er wieder einmal so heftig, dass er Zahnfleischbluten bekam.
16
Bis jetzt war alles ruhig geblieben. Die Frau Doktor allerdings blickte nervös auf die Uhr. „Um sechs Uhr hättet ihr den Sarg heraußen haben sollen!“, schimpfte sie in die Grube hinunter. „Jetzt ist es zehn nach, und ihr seid noch nicht einmal annähernd so weit. Wie stellt ihr euch das denn vor?“ Gasperlmaier fröstelte. Zwar hatte es zu regnen aufgehört, doch von den Bäumen und Sträuchern ringsum tropfte noch das Wasser, und der Wind vom See herauf pfiff mit gelegentlichen Böen durch seine Uniform. Eigentlich, so dachte er bei sich, wäre es gar nicht nötig gewesen, hier unbedingt mit dabei zu sein. Die Frau Doktor hätte auch genügt, zum Zuschauen beim Grabausheben.
Gasperlmaier riskierte einen Blick in die Grube hinunter. Der Sargdeckel war zwar mittlerweile zu sehen, die beiden Totengräber mussten aber noch an beiden Seiten so weit hinuntergraben, dass sie eine Schiene unter dem Sarg durchschieben konnten, mithilfe derer man ihn dann anheben würde. Den Bagger hatten die beiden längst
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