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Letzte Bootsfahrt

Titel: Letzte Bootsfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Dutzler
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beiseitegestellt, der nützte ihnen bei dieser Arbeit auf engem Raum wenig.
    Der Totengräber, der Simseider August, hatte sich den Aschauer Otto als Gehilfen geholt, der normalerweise dem Bestatter assistierte. „So ein Scheißdreck!“, schimpfte der Otto und holte seinen Flachmann aus der Brusttasche. Gasperlmaier erschauerte beim Gedanken an den Selbstgebrannten vom Cousin des Otto, den er kürzlich verkosten hatte dürfen. Gewärmt hatte er allerdings, das musste er zugeben. Der Otto nahm einen großen Schluck. „Das ganze Zeug ist alles so nass, dass es immer wieder nachgibt. Da dauert’s halt länger!“ Gasperlmaier musste ihm recht geben. Beide Totengräber standen so tief im Wasser, dass nur die Schäfte ihrer Gummistiefel sichtbar waren. Er erschauerte bei dem Gedanken, wie es wohl im Sarg aussehen mochte. Ob die Voglreiterin schon stark verwest war? Ob sie schon recht stank? Von dort oben, wo er stand, konnte man jedenfalls nichts riechen. Gasperlmaier mochte gar nicht daran denken, wie dem Gerichtsmediziner zumute war, wenn er so eine Leiche aufschneiden musste, die immerhin schon mehr als eine Woche im Grab gelegen war.
    Es schüttelte ihn, und er wandte sich ab. Die Frau Doktor hatte sich heute ziemlich wetterfest gekleidet. Wahrscheinlich hatte sie sich selbst bei der Aussicht nicht wohlgefühlt, bei dieser Kälte im Kostüm und mit Stöckelschuhen auf dem Friedhof herumzustehen. Sie trug Jeans und weiße Turnschuhe, die allerdings schon ein wenig dreckig geworden waren. Die Schuhe waren mit Glitzersteinchen besetzt, was Gasperlmaier ein wenig kindisch fand. Hoffentlich, dachte er, würden die Totengräber bald fertig werden.
    Als er sich umdrehte, war Gasperlmaier, als hätte er ein paar Reihen weiter zwei Schatten zwischen den Gräbern vorbeihuschen sehen. Er tippte die Frau Doktor vorsichtig an. „Ich glaub, da ist wer! Da hinten!“, flüsterte er und deutete auf den Grabstein, hinter dem die Schatten verschwunden waren. Viel konnte man nicht erkennen, es war ja erst ein heller Schimmer über der Trisselwand zu sehen. Und die Scheinwerfer, die die Totengräber mitgebracht hatten, warfen dort drüben nur mehr ein schwaches Licht hin. Die Frau Doktor folgte mit ihren Blicken seinem ausgestreckten Zeigfinger. Als sich nichts rührte, bedeutete sie ihm, ihr zu folgen.
    Ganz geräuschlos konnten sie sich nicht vom offenen Grab entfernen, der Kies knirschte unter ihren Sohlen. Sie schlichen eine Grabreihe weiter, eine zweite. Nichts rührte sich. Gasperlmaier glaubte schon, er hätte sich getäuscht, als die beiden Schatten hinter einem Grabstein hervorschossen und die Flucht ergriffen. „Stehenbleiben, Polizei!“, schrie die Frau Doktor. Gasperlmaier konnte nun erkennen, dass es sich keineswegs um Schatten handelte – zwei Gestalten mit Kapuzen über dem Kopf hasteten aus der Grabreihe hinaus und machten sich auf dem Hauptweg davon. Mit der Frau Doktor hatten sie aber nicht gerechnet. Die hechtete über die Gräber hinweg, war ihnen schon knapp auf den Fersen und rief noch einmal. „Polizei! Sofort stehenbleiben! Hände hoch, oder ich schieße!“
    Eine der Gestalten riss tatsächlich die Hände hoch und blickte sich um, die zweite lief allerdings weiter und verschwand aus dem Blickfeld Gasperlmaiers. Schon hatte die Frau Doktor die eine Gestalt gepackt, zu Boden gerissen und ihr den Arm auf den Rücken gedreht, sodass sie laut aufstöhnte. Gasperlmaier, endlich aufgewacht, sprintete an ihr vorbei, um den anderen einzufangen. Als er jedoch den schwachen Lichtschein der Scheinwerfer endgültig verlassen hatte, sank sein Mut, und er brach die Verfolgung ab. Dass er am Ende im Finstern über eine Grabeinfassung stolperte und mit dem Kopf gegen ein schmiedeeisernes Kreuz oder gar einen Grabstein donnerte, das wollte er lieber nicht riskieren.
    Plötzlich hörte er knapp vor sich jemanden stöhnen. Er näherte sich vorsichtig. Die zweite Gestalt lag ausgestreckt vor ihm, der Länge nach genau auf dem Grab des Holzleitner Josef, der jahrzehntelang Feuerwehrhauptmann gewesen war und deshalb jährlich mit einer Kranzniederlegung geehrt wurde. Da war also anscheinend genau das passiert, was Gasperlmaier durch das Aufgeben der Verfolgung klug vermieden hatte. Die Gestalt stöhnte. „Steh auf!“, herrschte ihn Gasperlmaier an, um keine Zweifel aufkommen zu lassen, wer hier das Kommando hatte. Immer noch stöhnend richtete sich der Bursch auf, und als er das Gesicht in Richtung Scheinwerfer drehte,

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