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Letzte Bootsfahrt

Titel: Letzte Bootsfahrt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Herbert Dutzler
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sich die Mutter gar nicht so genau erinnern wollte. Oft war es ja so, dass man sich an etwas, das man nicht vergessen wollte, jahrzehntelang in allen Details erinnerte. Gasperlmaier zum Beispiel konnte sich noch genau daran erinnern, was in jener Nacht passiert war, als ihn die Christine zu seiner eigenen Überraschung erstmals verführt hatte. Versonnen blickte er zum Fenster hinaus. Dunkel war es geworden, obwohl es doch noch mitten am Nachmittag war.
    „ … auch nicht untätig gewesen!“ Die Frau Doktor riss ihn mit einem Rippenstoß aus seinen Träumereien. Sie legte einige Klassenfotos auf den Tisch. „Wir haben nämlich Klassenfotos aus den fraglichen Jahrgängen gefunden“, sagte sie. „Da sind Sie drauf, Frau Gasperlmaier!“ Sie zeigte auf auf eines der schwarz-weißen Fotos. Gasperlmaier war erstaunt, dass es der Frau Doktor gelungen war herauszufinden, wer von diesen Mädchen die Mutter war. „Da ist die Frau Voglreiter. Und auf den anderen“, sie legte alle sieben Fotos fein säuberlich nebeneinander, „haben wir die drei Ermordeten. Hier, hier, und hier!“ Sie klopfte mit dem Finger auf den Kopf des Manzenreiter Sepp, der mit Kugelschreiber eingeringelt war. Anscheinend hatte sie bei ihrer Recherche gründliche Arbeit geleistet. „Und jetzt tauchen noch zwei neue Namen auf. Der Leopold Stuhlecker und der Georg Kaserer. Können Sie sich an die zwei erinnern?“
    Die Mutter zog die zwei Fotos näher an sich heran und betrachtete sie mit finsterer Miene. „Das ist der Stuhlecker“, sagte sie, „aber der ist voriges Jahr schon gestorben.“ Die Frau Doktor warf Gasperlmaier einen Blick zu, der Bände sprach. „An was gestorben?“, fragte sie. Die Mutter zuckte mit den Schultern. „Was weiß ich“, sagte sie. „Er hat drüben in Goisern gelebt. Im Krankenhaus in Ischl ist er gestorben, soweit ich weiß. Ich war sogar bei der Leich, drüben in Goisern.“ Gasperlmaier bekam einen verärgerten Seitenblick von der Mutter ab. „Mit dem Zug hab ich fahren müssen, mitten im Winter, weil der Herr Sohn, der hat ja keine Zeit, mit der Mutter auf ein Begräbnis zu gehen!“ Gasperlmaier fand die Mutter höchst ungerecht. Er hatte schließlich auch manchmal Dienst. Wenn er sich jedes Mal frei nahm, wenn die Mutter auf eine Beerdigung wollte, dann müsste er wahrscheinlich mindestens die Hälfte von seinem Urlaub darauf verwenden, dachte er bei sich. „Und der Kaserer, der ist nach Amerika ausgewandert. Bei einem Klassentreffen, vor zehn Jahren oder so, da war er einmal da.“ „Wo in Amerika, wissen Sie nicht?“ Die Mutter schüttelte den Kopf. „In Florida, vielleicht? Er war, glaub ich, so ein Hotelmanager. Über den Golfclub hat er dauernd geredet. In so einem komischen Deutsch, wie der Schwarzenegger. Mir ist er ziemlich auf die Nerven gegangen. So schnell kann man ja wohl seine Muttersprache nicht vergessen!“
    „Haben Sie eigentlich noch mit jemandem über das Tagebuch der Frau Voglreiter gesprochen?“ Die Mutter zog die Stirn wieder in Falten. „Hab ich nicht schon gesagt, dass ich’s erst gelesen hab, nachdem der Michl gestorben ist? Und hab ich nicht schon gesagt, dass ich’s der Friedl versprochen hab, dass es niemand erfährt? So, und jetzt muss ich mich schlafen legen. Der Franz hat mir ja keine Gelegenheit für ein Mittags­schlaferl gelassen!“ Demonstrativ streckte die Mutter sich auf dem Sofa aus und zog die Decke bis zum Hals hoch. Sogar die Augen zwickte sie zusammen, ein wenig krampfhaft, wie Gasperlmaier fand.
    Dass die Mutter nun mit ihrer Geduld am Ende war, das sah sogar die Frau Doktor ein. Seufzend stand sie auf. „Frau Gasperlmaier, danke für das Gespräch. Ich glaub zwar nicht, dass Sie in Gefahr sind, aber soll ich Ihnen trotzdem den Franz dalassen? Damit Sie sich ganz sicher fühlen? Schließlich sind Sie anscheinend, außer uns, die einzige, die die Fakten kennt und somit den zwei übrigen Tätern von damals gefährlich werden könnte.“ Gasperlmaier zuckte zusammen. Darauf hatte er jetzt wirklich keine Lust, bei seiner Mutter Wache zu schieben. Ganz im Gegenteil, er hatte gehofft, bald aus der überheizten Stube hinauszukommen. Gott sei Dank war die Mutter ausnahmsweise einmal mit ihm einer Meinung. „Geht’s nur! Ich hab vor keinem Angst! Ich kann mir schon selber helfen!“ Sie drehte sich zur Wand, um klarzustellen, dass die Audienz jetzt endgültig zu Ende war.
    Die Frau Doktor bedeutete Gasperlmaier, ihr zu folgen. Leise gingen sie ins Vorhaus,

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