Letzte Bootsfahrt
ohne sich vom Regen beeindrucken zu lassen, der zwar nicht heftig, aber regelmäßig auf sie niederging. „Da war was. Wegen irgendwelchen Gründen. Mit irgendwelchen Wienern. Und da ist der Name Breitwieser gefallen.“ Gasperlmaier schüttelte den Kopf. Er wollte ungern eingestehen, dass er die Lokalpolitik, wenn überhaupt, dann aus den Augenwinkeln verfolgte. Die Streitereien um den Parkplatz da und den Schutzweg dort, oder welcher Verein auf Kosten von welchem anderen diesmal mehr Subventionen von der Gemeinde bekam, das ließ ihn kalt. Selbst wenn seine Christine wieder einmal lautstark beklagte, dass die Gemeinde die Schule verfallen ließ und für zeitgemäße Lehrmittel überhaupt kein Verständnis und schon gar kein Geld hatte, hatte er dafür nur ein müdes Achselzucken übrig – was die Christine in der Regel noch weiter auf die Palme brachte und in dem Vorwurf endete, er sei an allem völlig desinteressiert und überhaupt ein gänzlich unpolitischer Mensch, als welcher er eigentlich gar nicht zu ihr passe.
Wie von selbst hatten die beiden den Weg zum Schneiderwirt eingeschlagen, und weil Gasperlmaier vergessen hatte zu antworten, hakte der Friedrich noch einmal nach. „Kannst dich nicht mehr erinnern?“ Gasperlmaier schüttelte nur den Kopf. „Ich hab den Namen Breitwieser bis heute noch nicht einmal gehört.“ Gasperlmaier wusste, dass es für den Friedrich fast undenkbar schien, dass man jemanden aus dem Dorf nicht einmal dem Namen nach kannte, aber er selbst hatte kein so großes Interesse an den Angelegenheiten anderer Leute, dass er sich ihre Namen merken konnte.
„Gehst noch mit hinein auf ein Bier?“ Gasperlmaier seufzte. Er wusste, wenn er jetzt den Weg des geringsten Widerstandes ging und sich beim Schneiderwirt drinnen auf eine Bank hockte, dann würde es nicht bei einem Bier bleiben. Und eigentlich war er ja wirklich hundemüde, das Begräbnis, und das Essen und Trinken, und dann der Mord, das hatte ihn alles ganz schön mitgenommen. So schüttelte er den Kopf und machte sich auf den Heimweg. „Vielleicht morgen wieder!“, machte er dem Friedrich noch Hoffnung.
4
„Eigentlich“, sagte die Christine, „wollte ich ja heute dein Lieblingsessen kochen. Aber dann hab ich mir gedacht, weil du doch beim Leichenschmaus eh ein Rindfleisch isst, und weil die Kinder alle zwei spät oder gar nicht nach Hause kommen, da mach ich nur Spaghetti aglio olio.“ Gasperlmaier fragte sich zweierlei: erstens, warum die Christine mitten unter der Woche auf die Idee kam, sein Lieblingsgericht zu kochen, und zweitens, was das überhaupt war. Natürlich aß er eigentlich alles gern, was seine Christine ihm kochte, aber ob das Lieblingsessen nun ein knuspriger Schweinsbraten oder ein saftiges, scharfes Gulasch oder gar eine Pizza war, das wusste er nicht zu sagen. Die Pizza von der Christine, zum Beispiel, die schmeckte völlig anders als so ein Billigfladen aus der Pizzeria, von dem Gasperlmaier in der Regel Sodbrennen bekam. „Natürlich musst dir die Nudeln jetzt aufwärmen. So lang hab ich nicht warten können. Ich hab ja was anderes auch noch zu tun.“ Die Christine sah ihn über den Brillenrand hinweg kurz an und wandte sich wieder den Büchern und Heften auf ihrem Schreibtisch zu.
Gasperlmaier holte sich eine Portion der Spaghetti aus dem Topf, ließ sie in eine Glasschüssel gleiten und stellte diese in die Mikrowelle. Ganz so einfach aglio und olio, also Knoblauch und Olivenöl, waren die Spaghetti von der Christine natürlich nicht. Sie tat immer noch gehackte getrocknete Tomaten und ein paar Sardellen hinzu, manchmal, wenn sie sie gerade zu Hause hatte, kamen auch noch geröstete Pinienkerne darauf. Gasperlmaier nahm die Schüssel aus der Mikrowelle, rührte ein wenig um und befand die Nudeln für heiß genug. Er rieb sich noch ein wenig Parmesan drüber, holte eine Flasche Bier aus dem Kühlschrank und setzte sich zum Küchentisch. Während er die Nudeln in sich hineinräumte und gelegentlich mit einem Schluck Bier aus der Flasche nachspülte, dachte er darüber nach, worüber er mit der Christine heute noch reden hatte wollen. Natürlich über den Mord, aber auch über das energetisierte Wasser und die Steine, die möglicherweise seine Nackenschmerzen heilen konnten.
Ein langer, äußerst seltsamer Tag war das gewesen. Ein Toter, umgebracht auf eine Weise, die selbst der Frau Doktor neu war, ein nasskaltes Begräbnis, eine Witwe, die sich mit den Engeln unterhielt und glaubte, das
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