Letzte Bootsfahrt
ja praktisch alles heilen konnte. Ihm kamen doch massive Zweifel daran, dass das funktionieren konnte. Vor allem, wenn er bedachte, wie viele Medikamente man in der Apotheke schon für das Kurieren einer mittelschweren Erkältung abholte und bezahlte. Da wäre es ja wohl zu einfach, dachte er, wenn man sich da einfach ein Steinchen in die Hosentasche stecken könnte. Da wäre die gesamte Pharmaindustrie ja längst bankrottgegangen.
„Vieles über Immobiliengeschäfte“, sagte die Frau Doktor, die inzwischen ein wenig in den Ordnern geblättert hatte. „Da kann man sich schon Feinde machen. Das ist ja ein Geschäft, wo sich oft jemand über den Tisch gezogen fühlt.“ Gasperlmaier fiel eine kleine, purpurrote Schachtel neben ein paar Steinen auf. Auf dem Deckel stand „Glückskekse“. Gasperlmaier öffnete sie und las, was auf der Deckelinnenseite stand: „Hausgemachte bechannelte Glückskekse. Indikationen: Depressionen, Kummer, Sorge, Angst, Verzweiflung u.v.m.“ Dass es Kekse gegen Depressionen gab, das hatte er nicht gewusst. Gasperlmaier staunte.
„Ja, meine Herren!“ Die Frau Doktor klappte einen Aktenordner zu, schob ihn wieder ins Regal und rieb sich die Hände, als hätte sie Staub daran. „Wir fahren jetzt zu den Schnabels. Die Witwe ist auch dort, die Tochter kümmert sich um sie. Sehen wir einmal, was wir von denen heute noch erfahren können.“
Es dämmerte bereits, als sie in Grundlsee ankamen. Die Villa der Schnabels lag ein wenig oberhalb des Sees, an einem mäßig steilen Abhang. Gasperlmaier stieg aus und ließ seine Blicke über den See schweifen. Das war schon eine tolle Sache, hier heroben zu wohnen. Eine prachtvolle Landschaft direkt vor dem Fenster, kaum Lärm, mitten im Grünen, und noch dazu in einem solchen Haus! Gasperlmaier bewunderte die von Efeu umrankte Villa mit ihren Türmchen und Erkern. Wer hätte nicht gern so gelebt?
Die Frau Doktor läutete, und kurz darauf öffnete ihnen die Frau Schnabel die Tür. Während sich die Frau Doktor vorstellte, ließ Gasperlmaier seine Blicke durch das Vorhaus schweifen. Nein, das war eigentlich kein Vorhaus mehr, das war schon mehr eine Halle. Sofas, Tischchen und Stühle verschiedenster Stilarten waren entlang der Wände aufgestellt, sodass Gasperlmaier das Gefühl hatte, sich in einem Museum zu befinden. Bloß die Absperrbänder vor den Möbeln fehlten. In der ihm gegenüberliegenden Wand öffnete sich ein gewaltiger Kamin, in dem einige größere Holzscheite lagen. An den Wänden prangten Gemälde, besonders ins Auge stach Gasperlmaier eines, auf dem ein Jäger gerade auf einen röhrenden Hirsch anlegte.
Bevor sich Gasperlmaier sattgesehen hatte, bat die Frau Schnabel sie durch eine Tür in ein Wohnzimmer, das im Gegensatz zur Vorhalle weniger pompös, vor allem aber modern eingerichtet war. Ein breites Fenster, das fast bis zum Boden reichte, erlaubte einen grandiosen Blick über den See und die dahinterliegenden Berge. Ein noch jung aussehender, aber zur Fettleibigkeit neigender Mann mit hoher Stirn, dicken Backen und einem Doppelkinn, das den Hals fast verschwinden ließ, erhob sich von einem Stuhl und stellte sich als Gerfried Schnabel vor. Gasperlmaier erinnerte sich, ihn schon öfters im Supermarkt gesehen zu haben, meist mit weißem Mantel bekleidet. Außerdem saß die Frau Breitwieser mit am Tisch.
„Bitte, nehmen Sie Platz!“ Die Frau Schnabel wies auf zwei Sofas und mehrere Stühle, die um einen kleinen Tisch herumstanden. „Etwas zu trinken?“ Gasperlmaier hätte schon Durst gehabt, wartete aber zuerst die Reaktion der Frau Doktor ab. „Nein, danke!“, winkte sie ab. „Es wird nicht lange dauern.“ Gasperlmaier fiel jetzt auf, dass die Frau Schnabel mit allerlei recht teuer aussehendem Schmuck behängt war. Eine mehrreihige Perlenkette verirrte sich da in dem Spalt zwischen ihren, wie Gasperlmaier nun bestätigt fand, recht ausladenden Brüsten, nicht wenige Ringe glänzten an ihren kurzen, dicken Fingern. An einem davon drehte sie ein wenig nervös herum, als die Frau Doktor das Wort an ihre Mutter richtete. „Frau Breitwieser, zunächst einmal möchte ich Ihnen mein aufrichtig empfundenes Beileid ausdrücken. Ich weiß, dass es jetzt schwierig ist, nüchterne Fragen zu beantworten, wenn man sich in einer emotional so belastenden Situation befindet.“ Wie eine Psychologin, dachte Gasperlmaier bei sich. Vielleicht, er wusste es ja nicht einmal, wofür sie ihren Doktortitel erhalten hatte, war sie ja sogar
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