Letzte Bootsfahrt
und der Gedanke missfiel ihm gründlich. Hunger hatten die Kinder natürlich niemals, wenn sie allein zu Hause waren, das hätte ja Arbeit bedeutet. Die Lust, auch noch den Christoph anzurufen, war ihm gründlich vergangen, der war wahrscheinlich bei seiner Andrea, und da lebte er sowieso in einer anderen Welt. Er war dem Mädchen völlig verfallen, und das tat einem jungen Mann in seinem Alter einfach nicht gut, fand Gasperlmaier. Zugegeben, die Andrea war ein äußerst ansehnliches Mädchen, mehr als das sogar, und Gasperlmaier hatte das Gefühl, als müsste sich der Christoph über die Maßen bemühen, sie als seine Freundin zu behalten. Zu schön war auch nicht gut.
Gasperlmaier starrte sein Handy an und überlegte, die Christine anzurufen. Andererseits hasste sie solche Kontrollanrufe, wie sie das nannte. Also schaltete er den Fernseher ein, um sich abzulenken. Mehrere Frauen diskutierten über das Leben nach dem Brustkrebs, und bevor Gasperlmaier noch umschalten konnte, wurden Bilder davon eingespielt, wie eine der Frauen nach der Operation ausgesehen hatte. Gasperlmaier griff nach der Fernbedienung, doch noch bevor er die richtige Taste fand, läutete sein Handy. Die Christine war dran!
Doch als er den Abnahmeknopf drückte und das Gerät ans Ohr hielt, säuselte eine fremde Frauenstimme: „Na, Süßer, was hast du denn heute noch vor? Vermisst du dein Weibi schon sehr?“ Gasperlmaier erschrak. War nicht eindeutig der Name „Christine“ angezeigt worden? Die Frau, die da dran war, hatte eindeutig schon ein paar über den Durst getrunken. Jetzt begann sie auch noch kindisch zu kichern. „Dein Weibi ist nämlich gerade aufs Klo gegangen!“, zwitscherte die Stimme weiter, „und da wollten wir wissen, wie es dem Gasperlmaier geht, wenn er allein zu Hause ist, die Brigitte und ich!“ Im Hintergrund hörte man nun auch Männerlachen. Gasperlmaier hatte sich noch immer nicht zu einer Antwort entschließen können, fand es aber höchst ungehörig von den beiden Damen, dass sie sich mit dem Handy seiner Christine einen solchen Spaß erlaubten.
„Was macht ihr denn da?“, hörte er plötzlich zu seiner Erleichterung eine vertraute Stimme. „Haben sie sich einen Blödsinn erlaubt, Franz?“, fragte die Christine dann durchs Telefon. „Nein, nein“, beeilte er sich zu antworten, „war nicht so schlimm. Wie geht’s dir denn?“ „Lustig ist es!“, sagte die Christine. „Jetzt gehen wir noch schön essen, und nach dem Frühstück morgen fahr ich eh heim.“ Gasperlmaier war ein wenig erleichtert. Zumindest war seine Christine nicht betrunken und würde vielleicht morgen schon dafür sorgen, dass etwas Vernünftiges zu essen auf den Tisch kam. „Habt’s ihr schon eingekauft? Sonst gibt’s morgen nichts zu essen!“ Die Christine konnte offenbar Gedanken lesen. Gasperlmaier enthielt sich einer Antwort, worauf der Christine ein tiefer Seufzer entfuhr. „Also nichts. Und wie geht’s mit eurem Fall?“ Gasperlmaier hatte nicht den Mut, ihr zu erzählen, dass der Doktor Schwaiger ermordet worden war. Anscheinend hatte sie noch nichts davon gehört, sonst hätte sie ja selbst etwas gesagt. „Ganz gut!“, sagte er stattdessen. „Ich hab den Rest des Tages frei, und wahrscheinlich morgen auch. Es gibt jetzt unmittelbar nicht so viel zu tun.“ Das Thema Einkauf war mit dem Seufzer anscheinend erledigt, freute sich Gasperlmaier. „Stell dir vor, Franz, wir gehen jetzt am Abend in ein Lokal, wo alle Gerichte in Stanitzeln serviert werden, wie beim Eis. Sogar Fleisch und so!“ „Ja, ja“, sagte er. Vieles lag ihm auf der Zunge, doch er wollte nichts davon in Gegenwart der Freundinnen der Christine besprechen, das war ihm unangenehm. „Viel Spaß!“, sagte er daher nur noch, „und komm gesund zurück!“ „Ja, ja, tschau!“, meinte die Christine und legte auf. Essen aus dem Stanitzel. Da war Gasperlmaier froh, dass er nicht dabei war. Wenn zum Beispiel ein Schnitzel so klein war, dass es in ein Stanitzel passte, wie viele musste man dann essen, damit man satt wurde?
Plötzlich wurde Gasperlmaier bewusst, dass seine Mutter ganz allein zu Hause saß, ebenso wie er selbst. Kurzentschlossen zog er die Schuhe wieder an, schaltete den Fernseher aus und begab sich zu ihr. Vielleicht, so dachte er bei sich, würde er dort sogar etwas zu essen bekommen.
Gretl Gasperlmaier saß vor dem Fernseher, als er auftauchte. Sie hatte ebenfalls die Sendung über Brustkrebs eingeschaltet. „Da muss man schon
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