Letzte Bootsfahrt
aufpassen, weißt du!“, sagte sie zu Gasperlmaier, auf den Bildschirm deutend. „Ich geh jedes Jahr zur Untersuchung.“
Gasperlmaier wollte jetzt nicht unbedingt weitere Details hören und ließ sich auf dem Sofa nieder. „Kannst nicht den Fernseher abdrehen, Mama?“, fragte er. Ein bisschen beleidigt schaute ihn die Mutter an. „Wenn der Herr wünscht!“ Plötzlich war es still im Zimmer. Zu still, wie Gasperlmaier fand. „Damit du nicht so allein bist!“, brachte er schließlich hervor, „hab ich mir gedacht, dass ich zu dir herüberschaue.“ „Da schau her!“, meinte die Mutter. „Und du bist nicht vielleicht gekommen, weil deine Frau und deine Kinder nicht zu Hause sind und du etwas zu essen brauchst?“ Gasperlmaier fühlte sich durchschaut, wehrte aber entrüstet ab. „Ich kann dich doch nicht ganz allein lassen, nach dem, was heute passiert ist!“, verteidigte er sich. „Und wir hätten dich sicher zu uns eingeladen, wenn die Christine da wär!“ „Die Christine“, sagte die Mama. „Wie geht’s ihr denn? Hast einmal mit ihr telefoniert?“ „Eh gut!“, antwortet Gasperlmaier ein wenig einsilbig. Die Unterhaltung drohte einzuschlafen.
„Ich wollt mir heute Knödel machen“, sagte die Mutter, bevor Gasperlmaier noch Zeit gefunden hatte, sich zu überlegen, ob er das Thema Doktor Schwaiger anschneiden sollte oder ob es nicht vielleicht gescheiter war, das bleiben zu lassen. Der Gedanke an Essen trug ein wenig zur Aufhellung seiner Stimmung bei. „Wie viele magst denn?“, fragte die Mutter. „Ich hab Grammel- und Bratknödel.“ „Große oder kleine?“, fragte Gasperlmaier zurück. „Große natürlich! Glaubst, ich kauf das Glump vom Supermarkt? Meine sind selber gemacht, halt nur eingefroren, weil ich mir immer gleich ein paar Portionen auf einmal mach.“ Gasperlmaier musste nur kurz überlegen. „Zwei und zwei!“, sagte er, denn vier große Knödel schienen ihm nach einem solchen Tag durchaus angemessen.
Die Mutter stand auf. „Kannst ja derweil das Kraut zustellen!“, ermunterte sie ihn, ein wenig mitzuhelfen. „Und dein Bier kannst dir aus dem Keller holen, du weißt ja, so kalt trinken ist nicht gesund.“ Gasperlmaier seufzte. Er hatte seine ganze Kindheit lang ausschließlich lauwarme Getränke serviert bekommen, weil die Mutter fest davon überzeugt war, dass eisgekühlte Getränke allen möglichen Leiden Vorschub leisteten. Als seine Kinder noch klein gewesen waren, war es immer wieder ein Anlass für Auseinandersetzungen gewesen, dass bei ihm zu Hause die Kinder Getränke aus dem Kühlschrank trinken durften. Nicht einmal eine diesbezügliche Expertise der Kinderärztin hatte die Mutter überzeugen können.
Während des ganzen Essens überlegte Gasperlmaier, wie er die Mutter trösten könnte. Das war schwierig. In ihrer Familie war es nicht üblich gewesen, über Gefühle zu sprechen. Im äußersten Notfall wurden sie auf andere Weise zum Ausdruck gebracht. Gasperlmaier erinnerte sich noch gut an einen solchen Vorfall. Es war am Heiligen Abend gewesen, und seine Mutter hatte alle Hände voll zu tun gehabt, ein besinnliches und würdiges Weihnachtsfest vorzubereiten. Gasperlmaier hatte irgendeinen Blödsinn angestellt, und die Mutter hatte ihm eine geschmiert, was höchstens alle paar Jahre einmal passierte. Dabei war Gasperlmaiers Brille zu Bruch gegangen, und die Mutter hatte zu allem Überfluss mit ihm noch zum Optiker nach Bad Aussee hinuntermüssen, um das Gestell wenigstens notdürftig reparieren zu lassen.
„Mama, es tut mir so leid!“, brachte er schließlich heraus, nachdem er sich den Mund nach dem letzten Bissen sorgfältig mit der Serviette abgewischt hatte. Gretl Gasperlmaier lächelte. „Ist schon gut, Bub. Ich werd schon drüber hinwegkommen.“ Sie stand auf und legte ihm einen Arm um die Schulter. Dann bekam Gasperlmaier einen Kuss auf die Wange, was schon lange nicht mehr geschehen war. Die Mutter setzte sich wieder hin und schien zufrieden. Gasperlmaier war erleichtert. „Es gibt ja schließlich auch noch andere Männer, nicht?“, lächelte sie. Gasperlmaier erschrak. „Magst vielleicht noch ein Glaserl Wein mit mir trinken?“ Er nickte zustimmend, glücklich darüber, dass er sich zum Thema Männer nicht äußern musste.
„Zu viel gestorben wird mir neuerdings hier“, sagte die Mutter, als sie gemeinsam vor dem Fernseher saßen. Der Wein schien Gasperlmaier ein wenig über das Haltbarkeitsdatum hinaus gealtert und schmeckte nicht.
Weitere Kostenlose Bücher