Letzte Bootsfahrt
Die Mutter hatte eine Volksmusiksendung eingeschaltet, in der ein weißbärtiger Moderator, der einem Gartenzwerg ähnelte, eine Musikgruppe nach der anderen ankündigte. Gasperlmaier hatte im Prinzip nichts gegen Volksmusik, doch gerade jaulten ein paar Kärntner Dirndln in einer Kirche so erbärmlich, dass er froh war, ein wenig leiser drehen zu können, damit er die Mutter besser verstand. Es ging halt doch nichts über eine Ausseer Geigenmusik. „Du darfst nicht vergessen, waren ja alles Leute aus meiner Zeit, ich hab sie ja alle von der Schule gekannt. Zuerst die Friedl, die arme Haut. Sie hat’s wirklich nicht leicht gehabt, das muss man schon sagen.“
Gasperlmaier wurde hellhörig. „Warum nicht leicht?“, fragte er nach. „Sie hat halt ständig mit ihrem Alois Schwierigkeiten gehabt“, antwortete seine Mutter. „Er hat ihr jeden Schritt vorgeschrieben. Das war so einer, bei dem Punkt sechs Uhr das Essen auf dem Tisch stehen hat müssen, und wenn irgendwas nicht gepasst hat, hat er gleich getobt. Erst wie er gestorben ist, vor vielleicht zehn Jahren, hat sie sich ein bissl freier gefühlt.“ „Traurig!“, warf Gasperlmaier ein. „Und überhaupt hat sie von den Männern nicht viel gehalten, die Friedl. Oft hat sie so Bemerkungen gemacht, dass sie eh alle Schweine sind, und dass man keinem trauen darf. Sie war halt recht verbittert.“
Gasperlmaier hatte sein Bier lange schon ausgetrunken und überlegte, ob er sich noch eines aus dem Keller holen sollte. Die Mutter würde sicher wieder vorwurfsvoll schauen. Wahrscheinlich war es gescheiter, daheim noch eins zu trinken. Das würde jetzt wahrscheinlich auch schon schön kalt sein. Zu seiner Überraschung aber öffnete die Mutter die Vitrine, in der der Obstler stand, und schenkte ihm großzügig ein. „Weilst ja einen harten Tag gehabt hast!“, lächelte sie.
11
Gasperlmaier beschloss, im Bett liegen zu bleiben. Die ganze vergangene Woche hatte er ohnehin viel zu früh aufstehen müssen, und das Wetter draußen war auch nicht dazu angetan, ihn vor die Tür zu locken. Dicke graue Wolken schoben sich an den Bergen vorbei, deren Gipfel verhüllt waren, und heftiger Wind zerrte an den Bäumen im Garten. Die Kinder würden vor Mittag sowieso nicht aus ihren Betten finden.
Gasperlmaier schaltete sich das Licht am Kopfende seines Bettes ein und begann, die gestrige Zeitung zu lesen. Dabei musste er wieder eingeschlafen sein, denn das Nächste, was er hörte, war die Türklingel. Verschlafen fuhr er in Hose und Hemd, um nachzusehen, was los war. „Ich bin’s!“, rief die Christine. „Du hast den Schlüssel stecken lassen!“ Schnell drehte Gasperlmaier den Schlüssel um und schloss seine Christine in die Arme. Wie sie ihm gefehlt hatte! Doch die Christine schob ihn nach einem flüchtigen Begrüßungskuss gleich wieder von sich. „Du bist ja noch gar nicht angezogen? Und die Zähne geputzt hast du dir auch noch nicht!“ „Wie spät ist es denn?“, fragte Gasperlmaier unsicher. „Halb zwölf! Hast du am Ende noch geschlafen?“ Er erklärte, wie es gekommen war, dass er noch einmal eingeschlafen war.
„Hat es dir denn gefallen?“, fragte er, um das Thema zu wechseln. „Sicher!“, sagte die Christine. „Aber die zwei Tage waren genug. Jetzt bin ich froh, dass ich wieder bei euch bin.“ „Magst ein Frühstück?“, fragte Gasperlmaier. „Ich hab zwar schon im Hotel gefrühstückt, aber wir können ja ein kleines vorgezogenes Mittagessen herrichten. Wie wär’s?“ „Schön wär’s“, antwortete Gasperlmaier.
In diesem Moment läutete sein Handy. Er sah nach, wer ihn am Sonntag stören wollte, und sah verärgert, dass die Frau Doktor Kohlross anscheinend schon wieder an der Arbeit war. Hoffentlich musste er nicht heute auch noch in einen Einsatz. „Gasperlmaier, regen Sie sich nicht auf, über das, was in der Zeitung steht. Ich hab das alles im Griff, ich hab auch unsere Interne schon verständigt, dass da gar nichts dran ist.“ Gasperlmaier hatte keine Ahnung, wovon sie sprach. Warum sollte er sich nicht aufregen? Und worüber hätte er sich aufregen können?
Gasperlmaier räusperte sich. „Was, äh …“, brachte er hervor, bevor die Frau Doktor weitersprach. „Ach so, ja. Sie haben ja keine Schilling-Zeitung im Haus. Folgendes: Die Maggie Schablinger hat aus der kleinen Auseinandersetzung mit Ihnen eine Story gebastelt. ‚Rabiater Polizeieinsatz gegen Journalistin‘ hat sie getitelt. Und die Sache natürlich völlig verzerrt
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