Letzte Bootsfahrt
Gymnasium, mit dem hab ich ja gar nichts mehr zu tun gehabt! Und der Pauli, der war ja die ganze Zeit im Wald! Wir haben uns ja kaum gesehen!“ Oh je, dachte Gasperlmaier bei sich, da hatte der Sepp jetzt den gleichen Fehler begangen wie seine Mutter. Auch er hatte sich auf einen ganz bestimmten Zeitpunkt bezogen, zu dem das passiert sein musste, von dem er abstritt, darüber überhaupt etwas zu wissen.
„Das, was damals passiert ist, Herr Manzenreiter“, sagte sie, schärfer als bisher. „Das hat etwas mit Sex zu tun. Irgendwer hat damals etwas angestellt, in das die Frau Voglreiter und Sie vier verwickelt waren. Und egal, was damals wirklich passiert ist: Da gibt es jemanden, der glaubt, sich dafür rächen zu müssen. Vielleicht sind Sie es ja selber, vielleicht der Herr Lukas. Vielleicht auch jemand ganz anderer, den wir noch nicht kennen. Ich werd Sie auf den Posten vorladen, damit wir die ganze Geschichte noch einmal in allen Einzelheiten durchgehen können.“ Der Sepp, so stellte Gasperlmaier fest, wurde nun weinerlich. „So glauben S’ mir doch! Ich hab doch niemanden umgebracht! Und ich hab auch früher nichts angestellt!“
Die Frau Doktor hatte allerdings noch ein Ass im Ärmel. „Worüber haben Sie denn mit dem Doktor Schwaiger am Telefon gesprochen? Und mit dem Herrn Lukas? Sie haben mit beiden mehrmals in den letzten Tagen telefoniert, mit dem Doktor Schwaiger noch wenige Stunden vor seinem Tod! Und sie wollen sich gar nicht gut gekannt haben!“ Der Sepp schüttelte den Kopf, wie um zu demonstrieren, dass er diese Anschuldigungen für völlig abwegig hielt. „Wir haben uns halt was ausgemacht, dass wir uns einmal zusammensetzen, nach so langer Zeit, das ist doch kein Verbrechen, oder?“ „Wo waren Sie dann in der Nacht vom Freitag auf den Samstag?“ „Im Bett halt!“, wimmerte jetzt der Sepp. „Ich steh am Samstag ja schon um fünf Uhr auf, weil ich nach Ebensee auf den Wochenmarkt fahr!“ „Und wer kann das bestätigen?“ „Zefix noch einmal!“, schrie jetzt der Sepp, sodass sich einige Kunden vom Gemüsestand gegenüber umwandten. Es war ja immer interessant, wenn es zwischen der Polizei und einem Bürger Auseinandersetzungen gab, da durfte man nichts versäumen. Gasperlmaier versuchte, die Gaffer mit möglichst strengen Blicken zu fixieren, um ihre Neugier zu zügeln. Natürlich ohne jeden Erfolg.
„Leiser, wenn’s geht!“, ermahnte nun auch die Frau Doktor den Sepp. „Ich schlaf doch in einem anderen Zimmer, weil die Liesl halt so einen leichten Schlaf hat. Sie wird mir immer munter, wenn ich aufsteh und zum Markt fahr. Da schlaf ich halt im Nebenzimmer!“, zischte er nun. „Schlecht für Sie!“, zischte die Frau Doktor zurück. „Hätten Sie was dagegen, wenn wir uns in Ihrem Wagen ein bisschen umschauen?“ Der Sepp lief puterrot an, sodass Gasperlmaier Angst bekam, er würde jeden Moment mit einem Herzinfarkt zusammenbrechen. „Warum denn? Habt’s einen Durchsuchungsbefehl?“, stieß er hervor. „Noch nicht“, antwortete die Frau Doktor. „Aber den können wir uns besorgen. Was haben Sie denn dagegen? Was verstecken Sie denn in Ihrem Wagen, dass Sie uns nicht hineinschauen lassen?“ „Nix!“, zischte der Sepp. „Ihr verderbt’s mir das Geschäft! Ihr sollt’s euch zum Teufel scheren!“ „Ich geb Ihnen noch meine Karte, damit Sie mich anrufen können, wenn Ihnen doch noch irgendwas Interessantes einfällt.“ Die Frau Doktor lächelte, drehte sich um und ließ ihn stehen. Gasperlmaier hatte zu tun, dass er ihrem raschen Schritt folgen konnte.
„Und jetzt?“, fragte er. „Jetzt gehen wir einen Kaffee trinken“, sagte die Frau Doktor, „und überlegen, was weiter zu tun ist.“ Sie stieg die Stufen zu dem Café hinauf, das direkt am Rathausplatz gelegen war. Davor waren schon Tische und Sessel aufgebaut, und einige Verwegene saßen, in Decken gewickelt, bei ihrem Frühstückskaffee. „Dort“, sagte die Frau Doktor und deutete auf einen Tisch, der direkt am Fenster stand, das dem Traunsee zugewandt war, „ist Thomas Bernhard oft gesessen, sagt man.“ „Wer?“, fragte Gasperlmaier, etwas geistesabwesend, während sie sich setzten. „Sagen Sie bloß, Sie haben noch nie was von Thomas Bernhard gehört?“ „Doch, doch!“, beeilte er sich zu versichern. „Ein großer Dichter, nicht?“ Er erinnerte sich, dass die Christine sich gelegentlich im Fernsehen Theaterstücke von Thomas Bernhard angeschaut hatte. Ihn hatte sie meist gleich
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