Letzte Bootsfahrt
weggeschickt. „Das wird dir nicht gefallen!“, hatte sie gesagt. Gerade deswegen war er einmal geblieben und hatte ein wenig mitgeschaut. Gleich am Anfang war ein alter Mann aufgetreten, der über jeden Finger seiner Hand ein Kondom gestülpt hatte, alle in verschiedenen Farben. Gasperlmaier war dann doch gegangen, um einem Streit mit der Christine auszuweichen. Der Christoph hatte sich mehrmals lautstark beschwert, dass sie im Deutschunterricht völlig unverständliches Zeug von diesem Bernhard lesen hatten müssen. Die Christine hatte gefunden, dass man von einem Gymnasiasten schon ein bisschen mehr Aufgeschlossenheit zeitgenössischer Literatur gegenüber erwarten durfte. Er sei ja schließlich Gott sei Dank nicht in einer HTL .
„Der Manzenreiter lügt“, sagte die Frau Doktor, nachdem sie ihren Kaffee bestellt hatte. Gasperlmaier wollte nicht unangenehm auffallen und hatte sich ihrer Bestellung, ein Caffè Latte, angeschlossen. Hoffentlich servierte man hier wenigstens ein Wasser dazu, dachte er bei sich, denn er hatte Durst. „Er weiß irgendwas, das mit dem Verschwinden der Voglreiter Friedl zu tun hat, und Ihre Mutter weiß auch etwas. Die Frage ist, warum sie damit nicht herausrücken.“ Gasperlmaier zuckte mit den Schultern. „Meine Mutter lügt eigentlich nie!“, versuchte er eine ziemlich schlappe Verteidigungslinie, wie ihm selbst bewusst war.
Die Frau Doktor sah zum Fenster hinaus, nahm einen Schluck Kaffee und sprach weiter, ohne auf Gasperlmaier einzugehen. „Zunächst einmal der Manzenreiter. Kann sein, dass er unser Mörder ist, kann auch sein, dass er das nächste Opfer ist. Irgendwas hat er in seinem Auto, das er vor uns verbergen will. Wird er erpresst? Bedroht? Hat er irgendwas von den Tatorten mitgenommen, was er vor uns verstecken will? Was könnte das sein? Worüber hat er mit dem Mordopfer tatsächlich am Telefon gesprochen?“ „Woher wissen Sie denn, dass er mit ihm telefoniert hat?“, fragte Gasperlmaier. „Das Telefongespräch vorhin. Man hat mir die wichtigsten Eckdaten der Telefonverbindungen durchgegeben. Und da hat es natürlich gerade gepasst, dass ich ihn danach noch fragen konnte.“ Gasperlmaier nahm einen Schluck von seinem Kaffee, der so dünn war, dass er eigentlich nach gar nichts schmeckte. Er hätte sich doch ein Seidel bestellen sollen. Hunger bekam er auch schon wieder. Kein Wunder, da unten auf dem Wochenmarkt wurde gegrillt, gebrutzelt und gebraten, dass die verführerischen Düfte bis ins Kaffeehaus hereinzogen.
Die Frau Doktor schlug die Beine übereinander und beugte sich vor. Gasperlmaier konnte nun die neuen Schuhe von vorn bewundern. Spitz waren sie, fiel ihm auf, sonst aber wirklich wie Bergschuhe mit Absätzen. Die anderen, offenen Schuhe gefielen ihm besser. Mehr weiblich, fand er. „Nehmen wir einmal an, der Manzenreiter hat etwas ausgefressen, das mit der Frau Voglreiter zu tun hat. Eifersuchtsgeschichte, zum Beispiel. Der Breitwieser oder der Schwaiger haben sich Hoffnungen bei ihr gemacht, einer der beiden ist mit ihr gegangen, wie man so sagt. Der Manzenreiter verführt sie, etwa nach einem Fest, auf dem viel getrunken worden ist, beim Kirtag zum Beispiel. Vielleicht vergewaltigt er sie sogar. Alles bleibt geheim, die Friedl Voglreiter verschwindet, keine Anzeige, sie sagt nichts, kommt wieder zurück, keiner außer dem Manzenreiter weiß was. Aber die Voglreiterin hinterlässt irgendwas, was nach dem Tod einer in die Finger bekommt, zum Beispiel der Doktor Schwaiger oder der Breitwieser. Und erpresst den Manzenreiter. Und der wehrt sich.“ Gasperlmaier fand die ganze Geschichte ziemlich konstruiert, behielt das aber wohlweislich für sich. Er hegte immer noch die Hoffnung, dass man dem Doktor Schwaiger auch eine Verbindung zum Avalon-Kreis nachweisen würde können und dass auch er von diesen seltsamen Lichtgestalten beseitigt worden war. Konnte ja durchaus sein, dass Erpressung im Spiel war – vielleicht hatte der Doktor Schwaiger gewusst, wer den Ferdinand Breitwieser ins Jenseits befördert hatte, und die Avalon-Leute erpresst? Der Vorteil an dieser Theorie war, dass seine Mutter dann mit der ganzen Geschichte überhaupt nichts zu tun haben würde. Er musste doch noch einen Versuch riskieren, die Frau Doktor von dieser Variante zu überzeugen.
„Ich muss mir jetzt einen Durchsuchungsbefehl für den Manzenreiter besorgen“, sagte die Frau Doktor, mehr zu sich selbst als zu Gasperlmaier, und starrte durch die große Scheibe zum
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