Letzte Bootsfahrt
bist wieder irgendwo eingekehrt und willst es mir verheimlichen. Sonst rennst du ja nach so einem Salat gleich zum Kühlschrank und schaust nach, was es da noch gibt.“ Ohne weiter in ihn zu dringen, trug sie das Geschirr zur Abwasch.
„Wo sind denn eigentlich die Kinder?“, fragte Gasperlmaier, um von sich abzulenken. „Die Katharina ist ins Kino nach Ischl gefahren, und der Christoph hat Dienst.“ „Wie, ins Kino gefahren? Da geht ja kein Bus mehr, und kein Zug!“ Die Christine setzte sich mit besorgtem Gesichtsausdruck wieder neben Gasperlmaier hin. „Sie ist mit der Frau Zettel gefahren. Es gibt da so einen Arthouse-Film, jeden Montag. Sei froh, dass sie sich für Kultur interessiert! Und außerdem hat sie heute sehr brav gegessen!“ Gasperlmaier war das gar nicht recht. Was würden die Altausseer sagen, wenn er irgendwann einmal eine lesbische Tochter mit ihrer Partnerin aufs Standesamt begleiten würde? Ihm selbst war das ja mittlerweile eh fast egal, aber die höhnischen Bemerkungen der Feuerwehrler und der Schützen, auf die konnte er gerne verzichten.
„Schau, Franz!“ Es wurde also ernst. „Man muss sie jetzt ganz behutsam anfassen. Wenn wir ihr zu viel dreinreden, wird das mit dem Essen nicht besser. Du musst sie ernst nehmen, ihr zuhören, sie wie eine Erwachsene behandeln.“ Gasperlmaier regte sich auf. „Ernst nehmen und zuhören! Dazu muss ich sie ja auch einmal länger als fünf Sekunden sehen!“ Die Christine blieb ruhig. „Sie weicht dir halt aus, weil sie Angst vor deiner Ablehnung hat. Du musst auf sie zugehen!“ Das, so fand Gasperlmaier, war eine schwierige Aufgabe. Wie sollte man auf jemanden zugehen, der einem ständig auswich? Das war ja, als wollte man einen Saibling im Altausseer See mit der Hand fangen. „Schau“, sagte die Christine, „der Beda, der ist ja auch schwul, und der hat mir erzählt …“
Es kam nicht oft vor, dass Gasperlmaier seine Christine unterbrach, aber das musste jetzt gleich aus ihm heraus. „Der schwul? Warum hast du mir denn das nicht gleich erzählt?“ Die Christine musste doch gemerkt haben, dass da Eifersucht mit im Spiel gewesen war, als er den Beda so grob angefasst und schließlich hinausgeschmissen hatte, damals. Und dass er sich wegen dem Wochenende solche Sorgen gemacht hatte, das war ja nicht zuletzt auch wegen dem Beda gewesen! Nicht, dass er dem besondere Verführungskünste zugetraut hätte, aber man wusste ja nie. „Ich hab dir deswegen nichts davon erzählt, weil ich doch weiß, dass du ein bisschen Vorurteile gegen Menschen hast, die da“, sie zögerte, „ein bisschen anders sind.“ Tatsächlich hatte Gasperlmaier außer dem Beda noch keinen Schwulen kennengelernt. Zwar gab es gegen den einen oder anderen Verdachtsmomente, aber einer, der offen und bekennend als Schwuler in Altaussee lebte, so einer war Gasperlmaier noch nicht untergekommen.
Die Christine schwieg, ohne ihren Satz zu vollenden. Sie hatte wohl gemerkt, dass Gasperlmaier auf die Erzählungen des nun, seit Neuestem, schwulen Beda dankend verzichten konnte. Ratlos sahen sie einander an. Gasperlmaier fand es schwierig, die Welt zu verstehen. Er hatte sie immer für einfach gehalten: Man sucht einen Partner, findet ihn, gründet eine Familie, und immer so weiter. Schließlich wurde man Großvater, ging in Pension, hörte auf, miteinander zu schlafen, saß vor dem Haus in der Sonne oder im Schatten, oder auch hinter dem Ofen, je nach Jahreszeit, trank friedlich sein Bier, und irgendwann, dann starb man halt. So einfach, musste er sich nun eingestehen, wie er sich die Welt zurechtgelegt hatte, war sie anscheinend nicht. Und es bereitete ihm Mühe, sich damit anzufreunden. Und die ganzen Mordgeschichten, die halfen ihm dabei auch nicht wirklich, denn auch sie waren ja schließlich eine Abweichung von der einfachen, sinnvollen Ordnung, die er sich herbeiwünschte. Und was da alles im Hintergrund noch auftauchte, wenn erst ein Mord geklärt war, was für Abgründe an Hass und Missgunst sich da Bahn gebrochen hatten, da war er erst gar nicht neugierig darauf.
Gasperlmaier nahm sich vor, auf die Katharina zuzugehen, wenn sie vom Kino heimkam. Leider schlief er aber vor dem Fernseher ein und wachte erst davon auf, dass sie lautstark die Stiege hinaufpolterte und ihre Zimmertür zuschmiss. Gasperlmaier trank den letzten Schluck seines lauwarm und schal gewordenen Biers und dachte bei sich, dass es momentan vielleicht nicht der günstigste Zeitpunkt war, einen Schritt
Weitere Kostenlose Bücher