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Letzte Ehre

Letzte Ehre

Titel: Letzte Ehre Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sue Grafton
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hättest du das mit ihr ausmachen müssen.«
    Ich spürte, wie sich in mir der Widerstand regte. »Sie war nicht >unzulänglich<. Das habe ich nicht gesagt. Sie hatte exzentrische Ansichten über Kindererziehung, aber sie tat, was sie konnte.«
    »Ich bin mir sicher, daß sie dich geliebt hat. Ich wollte nicht unterstellen, daß sie unfähig war.«
    »Ich sage dir mal eines. Was auch immer ihre Mängel waren, sie hat mehr getan, als Grand je getan hat. Im Grunde hat sie wahrscheinlich die gleiche Art von Mütterlichkeit weitervermittelt, die sie selbst mitbekommen hat.«
    »Du bist also eigentlich wütend auf Grand .«
    »Natürlich! Das habe ich dir von Anfang an gesagt«, rief ich. »Hör mal, ich fühle mich nicht als Opfer. Was vorbei ist, ist vorbei. Es hat sich eben so ergeben, wie es ist, und ich kann damit leben. Es ist verrückt, sich einzubilden, daß wir alles zurückdrehen und das Ergebnis ändern können.«
    »Natürlich können wir die Vergangenheit nicht ändern, aber wir können beeinflussen, was jetzt geschieht«, sagte Tasha. Sie schlug eine andere Gangart ein. »Nichts für ungut. Vergiß es. Ich möchte dich nicht provozieren.«
    »Ich möchte genausowenig wie du zu streiten anfangen«, sagte ich.
    »Ich versuche nicht, Grand in Schutz zu nehmen. Ich weiß, daß es falsch war, was sie getan hat. Sie hätte Kontakt aufnehmen sollen. Sie hätte es tun können, aber sie hat es nicht getan, okay? Das sind alte Geschichten. Vergangenheit. Es hat mit keiner von uns etwas zu tun, also warum es noch eine Generation weiterschleppen? Ich liebe sie. Sie ist ein Schatz. Außerdem ist sie eine übellaunige, knauserige alte Dame, aber sie ist kein Ungeheuer.«
    »Ich habe nie behauptet, daß sie ein Ungeheuer sei.«
    »Warum kannst du es dann nicht einfach ad acta legen und weitermachen? Du bist unfair behandelt worden. Das hat zu einigen Problemen geführt, aber jetzt ist es aus und vorbei.«
    »Abgesehen davon, daß ich fürs Leben gezeichnet bin und zwei ruinierte Ehen hinter mir habe, die das belegen. Ich bin bereit, das zu akzeptieren. Wozu ich aber nicht bereit bin, ist, alles unter den Teppich zu kehren, damit sie sich gut fühlt.«
    »Kinsey, mir ist unwohl bei diesem... Groll, den du mit dir herumträgst. Das ist nicht gesund.«
    »Ach, komm wieder auf den Boden. Warum überläßt du die Sorge um meinen Groll nicht mir?« sagte ich. »Weißt du, was ich letztlich gelernt habe? Ich muß nicht perfekt sein. Ich kann fühlen, was ich fühle, und sein, wer ich bin, und wenn dir das unangenehm ist, dann bist du vielleicht diejenige mit dem Problem, und nicht ich.«
    »Du bist also entschlossen, gekränkt zu sein, oder?«
    »He, Schätzchen, nicht ich habe dich angerufen. Du hast mich angerufen«, sagte ich. »Es ist nur schlicht und einfach zu spät.«
    »Du klingst so verbittert .«
    »Ich bin nicht verbittert. Ich bin realistisch.«
    Ich spürte, wie sie mit sich selbst absprach, wie sie weiter verfahren sollte. Die Anwältin in ihrer Natur neigte vermutlich dazu, nachzuhaken wie bei einem gegnerischen Zeugen. »Tja, ich sehe ein, daß es keinen Zweck hat, das weiterzuverfolgen.«
    »Stimmt.«
    »Unter diesen Umständen gibt es wohl auch keinen Grund für ein gemeinsames Mittagessen.«
    »Wahrscheinlich nicht.«
    Sie atmete schwer aus. »Nun gut. Wenn es jemals etwas gibt, was ich für dich tun kann, hoffe ich, daß du mich anrufst«, sagte sie.
    »Das ist nett von dir. Ich kann mir zwar nicht vorstellen, was das sein könnte, aber ich werde es mir merken.«
    Ich legte den Telefonhörer auf, und mein Rücken war ganz feucht vor lauter Anspannung. Ich stieß ein Bellen aus und schüttelte mich von Kopf bis Fuß. Dann floh ich vom Ort des Geschehens, da ich fürchtete, Tasha könnte umschwenken und noch einmal anrufen. Ich ging auf einen Sprung in den Supermarkt, wo ich das Nötigste besorgte: Milch, Brot und Klopapier. Ich hielt bei der Bank und reichte einen Scheck ein, hob fünfzig Dollar in bar ab, tankte meinen VW voll und kehrte nach Hause zurück. Ich war gerade dabei, die Lebensmittel zu verstauen, als das Telefon klingelte. Beklommen nahm ich den Hörer ab. Die Stimme, die mich begrüßte, gehörte Bucky.
    »He, Kinsey? Hier ist Bucky. Sie kommen am besten gleich rüber. Jemand ist in Pappys Wohnung eingebrochen, und vielleicht möchten Sie sich mal umsehen.«

3

    Ich klopfte zum zweiten Mal an diesem Tag an Buckys Haustür. Die frühe Nachmittagssonne begann den Rasen auszudörren, und der

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