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Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Titel: Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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Frau Becker, dazwischen Telefonate, Unruhe. Dummerweise brachte ich Magda aus dem seelischen Gleichgewicht, als ich sie fragte, ob ihr die Familie wirklich so wichtig sei, daß sie sie jeden Monat sehen und mich allein lassen müsse. Sie hat es so aufgenommen, daß sie an keinem Ort ihre Aufgabe richtig erfülle, weder hier in Berlin noch «zu Hause», in Budapest. Ich vermochte sie nicht zu trösten. – Ich hatte Morcsányi den Artikel über den Schriftstellerverband geschickt: Wie ich spüre, war er nicht gerade begeistert, wiewohl er ihn guthieß. Hinsichtlich der konkreten Fakten schlug er ein paar Berichtigungen vor. Ich glaube jedoch, in dem Artikel eine wichtige Analyse geleistet zu haben, was die Provenienz des Packs im Schriftstellerverband betrifft. – Am Abend M. zum Flughafen gebracht, nach Rückkehr eine Stunde mit András Schiff am Telefon geplaudert, dann ein interessanter und vorzüglicher Fernsehfilm über Sebastian Haffner, gegen halb zwei niedergelegt, bis morgens halb sechs geschlafen.
    26 . März 2004  Die Aufzeichnungen der letzten Tage durchgelesen. Grauenhafte Stillosigkeit. Ich fürchte, etwas in mir ist erloschen. Egal. Die hinter mir liegenden anderthalb Jahre haben gezeigt, was die Hölle ist. Rückenschmerzen. Nichtstun. Depression.
    27 . März 2004  Süß und schwer wie die Erinnerung.
    28 . März 2004  
Ich befinde mich in einem physischen Zustand, der einfach katastrophal genannt werden muß.
[5] Von morgens halb fünf bis halb neun geschlafen. Um halb drei hatte ich mich hingelegt, aber das Bett hielt mich nicht, ich stand wieder auf, nahm eine Schlaftablette und schaltete den Fernseher ein. Es lief ein Erotikfilm, und obwohl das Schlafmittel inzwischen zu wirken begann, konnte ich von den schönen Körpern nicht lassen. – Vormittags halb zwölf traf ich mich im Kempinski mit einem deutschen Lehrer, der mich um jeden Preis irgendwohin nach Bayern einladen will, um dort zu lesen und mit seinen Schülern zu diskutieren. Christian Meier schrieb über ihn, «er leidet an einem Antriebsüberschuß». Und das ist das Feinste, was man über diesen hageren, nervösen Menschen sagen kann. Obwohl wir Gefallen aneinander fanden, entgingen mir nicht die ganzen hilflosen und ungeschickten Bewegungen, das Gekicher, die Taktlosigkeit – mit einem Wort, all das, was wir als Karikatur des deutschen Professors kennen. – Danach ging ich sofort nach Hause, teils, weil ich nicht laufen kann, und teils, weil ich noch ein paar Briefe schreiben will; wer weiß, eventuell reicht meine Kraft noch aus, daß ich im Dickicht der
Letzten Einkehr
weiter vorankomme.
    29 . März 2004  Kein Vorankommen, ich habe die Verbindung zu dem Projekt verloren. – Mit wem ich auch spreche, jeder stellt fest, daß ich müde aussähe oder daß meine Stimme (am Telefon) müde klinge. – Radnótis «verwerfende» Rezension von
Liquidation
im aggressiven Boulevardblatt
Holmi
. Aber wieso sollte der Arme das Buch auch mögen, wenn es nun einmal vom Debakel von Menschen seinesgleichen handelt. Mir ist übrigens schon lange klargeworden, warum sich die liberalen Juden weltweit so großer Antipathie erfreuen. Ein bestimmter jüdischer Liberalismus ist, zumindest in Osteuropa, nichts weiter als Frustration, Selbstverleugnung, Dogmatismus (vielfach Kommunismus), Feigheit und – eigentlich – ja, Schädigung der Nation, wiewohl das, wenn ich es sage, etwas anderes bedeutet als bei den Pfeilkreuzlern. – Traumähnliche Tage, deren Inhalt ich nicht herausheben könnte aus dem Nebel, der über ihnen liegt.
    30 . März 2004  Allmählich kehrt die Freude zurück. Lange Telefongespräche mit Magda. Wir werden etwas ändern an der unhaltbaren Sichtweise des streßgeplagten kleinen Mannes. «Das Leben ist ein Spiel», sagte M. am Telefon, und wie recht hat sie. Zum Beispiel: Mario Adorf, dessen Gesicht ich so oft auf der Leinwand bewundert habe, möchte mich gern kennenlernen. Über Stunden empfand ich diesen Wunsch nur als Belästigung und ärgerte mich über die Indiskretion von Herrn D., der ihm, ohne mein Wissen und ohne mich zu fragen, meine Faxnummer verraten hatte. Dann plötzlich klarte der Himmel auf: Was für eine Dummheit, wenn ich die Gelegenheit versäumte, einen netten und – wahrscheinlich – interessanten Menschen kennenzulernen; ich hinterließ ihm also die Nachricht für ein Treffen morgen im Kempinski. – Anruf von Martina Wachendorff, sie verübelt es uns nicht, daß wir die für Mai geplante

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