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Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Titel: Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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verfassen. – Anruf von Fest: Er sprach hingerissen von den ersten 25 Seiten von
Dossier K
., die er endlich in deutscher Übersetzung lesen konnte; es macht mich immer von neuem glücklich, den Frankfurter Schiffbruch hinter mir zu haben.
    2 . März 2005  Der Abend des Geburtstags von Elena Barenboim. Die liebenswerten, charmanten russischen Juden. Berlin von Schnee bedeckt. Magda in Budapest, heute läßt sie im Krankenhaus die obligatorischen Untersuchungen machen. Ich habe einen DVD -Player gekauft und ein paar ‹Platten›. Bin völlig aus der Arbeit heraus, obwohl ich gestern ziemlich viel von dem, was entsteht, durchgelesen habe. Das Ergebnis: Zufriedenheit, es war, als läse ich den Text eines fremden Autors, der nichts mit mir zu tun hat.
    5 . März 2005  Vorige Nacht so gut wie gar nicht geschlafen, am Morgen kam Magda aus Budapest zurück, gleichfalls unausgeschlafen wegen ihrer bis zum Morgengrauen dauernden Live-Sendung beim Ungarischen Rundfunk; todmüde gingen wir nachmittags halb vier in die Philharmonie und erlebten ein Wunder, Barenboim spielte den dritten Akt des
Parsifal
(in konzertanter Aufführung), mit Placido Domingo in der Hauptrolle; ich genoß die Musik in einem Freudenrausch, der wie eine glühende Welle über mir zusammenschlug. Danach mit dem Taxi ins Bouvril, wo wir ein frühes Abendessen einnahmen. Ich bin mir ständig des Privilegs bewußt, in Berlin, in der westlichen Zivilisation leben zu können. Von zu Hause entsetzliche Nachrichten, es ändert sich nichts, die Menschen sind genauso verwahrlost wie die Häuser, die Seelen. – Bei
Dossier K.
waren Schwierigkeiten aufgetreten, die ich nach einer gewissen Stagnation behoben habe; das Problem war mein Leben zwischen 1954 und 1958 , die Jahre der großen Entscheidungen und der damit einhergehenden Unsicherheit, über die ich eigentlich auch heute nicht Rechenschaft geben kann.
    13 . März 2005  Früher Morgen. Vorgestern aus Paris zurück, wegen des Streiks mußten wir den ganzen Tag auf verschiedenen Flughäfen herumhängen. Die Ehrendoktorwürde der Sorbonne. Paris. Die Begegnungen, vor allem die mit Dario Fo und Vargas Llosa. Abendessen, Mittagessen, groteske Eitelkeiten: der Brasilianer, der sich den ganzen Abend an der eigenen Stimme delektierte und, um dabei Publikum zu haben, ein Abendessen in einem der teuersten und vornehmsten Pariser Hotels veranstaltete. Ich gab Interviews. Gleich mehrfach wurde behauptet, die Franzosen fingen an, meine Bücher zu lesen. Während ich selbst völlig mit
Dossier K
. feststecke. Momentan wieder das Gefühl, mein Talent verloren zu haben, und daß es nie mehr zurückkehren wird.
    17 . März 2005  Heute abend muß ich im Berliner Ensemble aus der
Detektivgeschichte
lesen. Ich kann mich nicht vorbereiten, weil ich beim Lesen des Textes immer einschlafe. Mein Bericht über Paris ist ganz unzureichend. Mir ist das Gefühl für die wesentlichen Dinge abhanden gekommen. Gestern abend brachte Christine Fest den Umschlag für
Dossier K.
; aufregend, nur eben der Text – der Text des Buches – steckt in der Krise. (War er denn nicht immer in der Krise, ist die Krise nicht der schöpferische Normalzustand?)
    19 . März 2005  Nach anderthalb Stunden Schlaf erwache ich wie ein hungriges Raubtier. Gleich drei Uhr nachts. Am Abend waren wir bei Wapnewski, genauer bei Monika W., zum Essen eingeladen, zusammen mit Durs und Eva Grünbein. Magda und ich haben diese beiden jungen Leute ins Herz geschlossen. Heute abend gehen wir in den
Parsifal
, und morgen fliegen wir nach Budapest. Es erwartet mich ein längerer Aufenthalt in dieser widerlichen Stadt, es erwartet mich Ostern, es erwartet mich alles und jeder. Zum Beispiel die Monographie von Szirák; seine «Abhandlungen» sind mit Ekel und Verachtung vollgestopft wie die Gosse mit Müll, krepierten Ratten und moderndem Laub. – Im übrigen stecke ich mit
Dossier K
. fest. Was sich so leicht anließ, bleckt mir auf einmal sein Wolfsgebiß entgegen. Obwohl Fest schon den Buchumschlag anfertigen ließ.
    20 . März 2005  Gestern die
Parsifal
-Premiere in der Lindenoper. Wenn ich von Charlottenburg in den Osten der Stadt fahre und das Auto am Tiergarten vorüberkommt, fällt mir immer ein Buch von Kästner ein – den Titel weiß ich nicht mehr (vielleicht
Emil und die Detektive
?) –, in dem ein elegantes Paar mit dem Taxi am Tiergarten entlang zur Lindenoper fährt und die Frau müde die Augen schließt … Eine große, elegante, lärmende

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