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Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Titel: Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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hat? Meine Nostalgie bezieht alles mit ein, auch Z.
    17 . Mai 2005  Ich bin todmüde; M. auch. In der Staatsoper die Vorpremiere des
Blaubart
gesehen. Gestern nacht habe ich das fertige Material von
Dossier
durchgesehen, und die erste Reaktion war Scham. Am Tag, mit nüchternem Kopf, las ich es erneut: Das Resultat war Beruhigung. Wobei ich natürlich weiß, daß noch das eine oder andere auf der Liste steht …
    29 . Mai 2005  Müdigkeit (tödlich). Gestern sind wir aus Hall (bei Innsbruck) zurückgekehrt. Zwei Lesungen, einmal mit Klavierbegleitung (Pierre-Laurent Aimard). Zuvor, noch in Berlin, der DU -Abend; vor dem DU -Abend Lesung in der Berliner Akademie (mit Günter Grass).
    1 . Juni 2005  Gestern Premiere des Films in Dresden. Das Publikum saß kleinlaut im Zuschauerraum; der Verleiher redete dummes Zeug (über «Kollektivschuld» usw., also über all das, was nicht im Film und erst recht nicht im Roman zu finden ist). Der Ministerpräsident, der sich um jeden Preis mit mir fotografieren lassen wollte. – Am Vortag die Pour le mérite-Veranstaltungen, Einladung zum Mittagessen beim Bundespräsidenten anläßlich des Besuchs des israelischen Staatspräsidenten. Ich komme mit meinem Leben nicht mehr mit.
    6 . Juni 2005  Neunzig Seiten fertig von
Dossier K.
, das letztlich mit nichts anderem vergleichbar ist. Ziemlich originell. Gestern abend die Berliner Premiere (Film). Wowereit, der Bürgermeister, und der ungarische Botschafter waren gekommen. Schlechte Presse. Die Freude der deutschen Zeitungen, mir endlich mal einen Tritt verpassen zu können. Die Schonzeit ist vorüber. Interessant, wie ruhig ich es aufnehme. Halb soviel Haß und Unkorrektheit auf Ungarisch hätte mich schon zur Raserei gebracht. – Sexueller Niedergang. Abends sind M. und ich so müde, daß seit Wochen nichts passiert.
    8 . Juni 2005  Der mächtige Anblick Berlins um vier Uhr morgens. «Der Himmel über Berlin». Gestern sagte ich zu Nádas, daß ich diese Stadt mehr und mehr liebe. Ich habe noch nie in einer Stadt gelebt, die ich liebe. In meinen Ohren erklingt ein Haydn-Streichquartett. Magda ist in Budapest. Der Termindruck sitzt mir im Nacken. Alles, was jetzt mit mir geschieht, hätte wenigstens zwanzig Jahre früher geschehen müssen. Was wird mit diesem Trivialtagebuch? Was wird mit meinen Manuskripten, die ich leichtfertig der deutschen Akademie anvertraut habe? Alles von mir ist verstreut, ich selbst werde im Meer verstreut werden (wenn man mir meinen letzten Wunsch erfüllt). Was wird mit Magda ohne mich? Was wird mit mir ohne mich?
    10 . Juni 2005  Weibliche Telefonanrufe: als fühlten sie von Zeit zu Zeit mit ängstlicher Hand in ihren Taschen nach, ob ich noch da bin.
    11 . Juni 2005  Allein in Berlin. Beklemmend. Magda fehlt mir. Die Welt um mich herum stürzt langsam wie ein schlecht gefügtes Kartenhaus Blatt für Blatt ein. Auch meine materielle Sicherheit schwindet. Langsam und gelangweilt bereite ich mich auf das Verhängnis vor. Die Arbeit (das
Dossier
) stagniert ebenfalls. Ich bin alles und alle leid. Vor allem mich selbst.
    17 . Juni 2005  Früher Morgen in Sirmione. Mir ist ein wichtiger Teil meiner
Digi
betitelten Datei verlorengegangen. Wir sind eigentlich hier, um Ferien zu machen, ich habe jedoch meinen Laptop mitgenommen. Das – genauer gesagt, nicht das, sondern sämtliche Attribute meiner Schriftstellerdaseins irritieren Magda. Die bekannte Situation,
Das kurze glückliche Leben Francis Macombers
.
    19 . Juni 2005  Seit vier Tagen in Sirmione. Vormittags und nachts
Dossier K.
Gerade legt M. mir dar, wie langweilig ich bin. Die alte Sünde, der alte Vorwurf. Der Schriftsteller schreibt und ist langweilig. Ich bin nicht amüsant, aber nichts ist auch langweiliger als das Amüsement. Wenn ich noch einmal anfinge, würde ich mich bemühen, mein Leben nicht mit dem von anderen zu verknüpfen. (Klagen eines schwachen Menschen.)
    23 . Juni 2005  Am letzten Tag in Sirmione ist mir klargeworden, daß
Dossier K.
verpfuscht ist. Es ist langweilig und didaktisch. Die Frage ist, ob ich die Lust aufbringe, es zu überarbeiten.
    24 . Juni 2005  Der italienische Grenzbeamte, der mich mein Reisenecessaire öffnen ließ und mir triumphierend meine elektrische Zahnbürste vor die Nase hielt, als Beweisstück, daß ich die Sprengung des Flugzeuges vorbereitet haben könnte oder zumindest über die nötige Ausrüstung dazu verfügte.
    25 . Juni 2005  Allein in Berlin, diesmal ist M. nach Amerika

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