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Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Titel: Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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Breitenstein am Grab von Thomas Mann in Kilchberg. Ein einfacher dunkelgrauer, pelziger (bemooster) Grabstein. Golo Mann liegt hundert Meter weiter; der Sonderling. Die Unmöglichkeit von Familien. Unter uns die Lindt-und die Sprüngli-Fabrik. Der Zürichsee in Nebelschleiern.
    Am Tag zuvor, am 16 ., meine Lesung in dem riesigen Zelt der
Neuen Zürcher
, anläßlich des 225 jährigen Bestehens der Zeitung. Gedrängt volle Stuhlreihen, reglose Stille. Der Artikel, den ich von Breitenstein bekam; ein Herr Vetter, Korrespondent der
NZZ
, hat in Budapest Interviews über mich und den Nobelpreis geführt, unter anderem mit Margit Ács, Sándor Radnóti, einem gewissen Zsolt H., den ich nicht kenne, Margócsy; die einzige, die authentisch ist, ist Margit Ács, die anderen reden dummes Zeug. Was aus mir geworden sei (in den Augen der Leute, in meinen eigenen und überhaupt). «Ich kenne diesen Herrn nicht.» Wie gut wäre es zu schreiben, auf den Flügeln des Stils zu schweben, am Roman zu arbeiten. – Zu Hause: Ich sitze mit
Dossier K.
fest, bei dem Gefängnis-Bekenntnis.
    22 . Januar 2005  Arbeitsnächte. Ich habe das Gefängnis, ich habe Albina. Weiter, weiter. Gestern das einstündige Interview im Programm von Arte. Ich war bestürzt über mein Gesicht, meine Hand, meine Figur. Die Schmach des Alters ist schwer zu ertragen. Abgesehen davon redete ich Blödsinn. Die Interviews aufgeben, weil ich nichts Neues sagen kann. Höchstens zynisch so viel: Laßt mich mit Auschwitz in Frieden!
    26 . Januar 2005  
Dossier K.
läuft gut. – Neuer Star: Strawinsky. Mitunter bestürzend. Aber das wollte ich gar nicht. Sondern was? «Wir müssen sterben, wir müssen sterben …»
    29 . Januar 2005  Frau Becker brachte einen Packen Zeitungsausschnitte, teils zu meinem 75 . Geburtstag, teils anläßlich der Publikation der
Detektivgeschichte
erschienenen Artikel. Sie strömen Sympathie aus, jene Art von Wertschätzung, die den Augen und Ohren osteuropäischer Leser so unbekannt ist. – Gestern Abendessen im Restaurant Storch mit Ulla Berkéwicz, zur Vorspeise servierte ich ihr meinen Weggang vom Verlag. Es war nicht so schwer, wie ich befürchtet hatte. Der Augenblick war jedenfalls gut gewählt. Sie nahm die Mitteilung ziemlich großmütig auf. Heute gegen Abend rief sie an, ein bißchen verrückt vielleicht, und teilte mir ihre Gefühle mit: «Arbeite du nur ruhig weiter, schreib!» – Kann es sein, daß ich meine Situation falsch einschätze? – Nur etwas ist ekelhafter als der Sieg – die Niederlage. Beide lassen dich in Scham geraten; wenn auch in jeweils anderen Tonlagen.
    2 . Februar 2005  Abendessen bei Fests. Aharon Appelfeld. Besprach mit Fest die Taktik; ich gehe also zu Rowohlt zurück. Große Erleichterung. Ein interessanter Aspekt der Sache ist, daß ich letzten Endes von einem Verlag jüdischer Prägung zu einem deutscher Prägung gehe. Aber was ich dabei verspüre, ist nur, daß meine Sympathie mich von den eingefleischten alten Liberalen zu einer jüngeren Generation zieht, zu jungen Leuten, die sich nicht von Ideologie, sondern ausschließlich von der Praxis leiten lassen.
    6 . Februar 2005  [Budapest] Vorgestern, am 4 ., habe ich hier einen neuen Herzschrittmacher bekommen. Ging morgens gegen 8 mit Magda ins Krankenhaus; feierlicher Empfang im Büro des Professors, einem grobschlächtigen, durchtrainierten Mann, junges Gesicht, weißes Haar. Es gibt Menschen, die zum Professor geboren sind. Dann unters Messer. Der junge Doktor Duray. Manchmal spürte ich den Schnitt, das Suchen der Instrumente, wie die Maschine an mein Herz angeschlossen und, wie sie sagten, «eingeschraubt» wurde. Wohin? fragte ich. Na, ins Fleisch, antworteten sie. Ich mußte den ganzen Tag im Krankenhaus verbringen, Magda hat die Zwangsruhepause treu mit mir geteilt; zum Glück ließ man mich abends nach Hause. Gestern, Samstag, verbrachte ich den ganzen Tag damit, einen verschwundenen Steuerbogen zu suchen: er fand sich nicht. Abends kamen Ingrid und ihre Freundin von Pasarét zu uns herüber in die Szilágyi Allee; wir aßen bei Fausto zu Abend, dann fuhren wir hinüber nach Buda und hinauf zu Morcsányis. Morcsányi hatte noch am Nachmittag das schon vorliegende Material für
Dossier K.
gelesen und teilte seine Eindrücke abends auch Ingrid irgendwie mit; interessanterweise kann jeder ein bißchen Deutsch, aber dazu braucht es den persönlichen Kontakt; am Telefon könnte sich Morcsányi wahrscheinlich kaum mit Ingrid

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