Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)
Spanier. Geschafft; vier Schriftsteller, drei von ihnen sehr sympathisch, besonders Señor Mendoza. Anschließend Thunfischsalat auf der Terrasse des Cafés Belváros. Strahlender Frühling. Ich genieße es, mir jetzt leisten zu können, was ich mir vor vielen Jahrzehnten, als ich mit meinen Freunden noch auf der Terrasse des Bristol saß, nicht leisten konnte. Damals waren die sogenannten «überbackenen Makkaroni» die große Verlockung, der ich nie nachgeben konnte, weil ich kein Geld hatte. Tröstet es mich, daß ich wenigstens jung war? Als wirklichen Trost empfinde ich es nicht. Ich bin lieber alt und habe ein bißchen Geld in der Tasche. Aber das nur nebenbei. Gegen vier kam ich nach Hause, ziemlich erschöpft, und mit einem Mal, hoppla-hopp, war plötzlich die Fortsetzung des Romans da, dort, wo ich steckengeblieben war. Ich setzte mich an den Computer und arbeitete bis abends um acht; ich glaube, der Zusammenhang ist wiederhergestellt, der Roman ist gerettet. Und – komisch, das hätte ich nie geglaubt – es tat gut, auf dem Computer zu schreiben. Intim und elegant. Zumindest auf meinem schönen kleinen schwarzen Laptop, der wie ein schlankes, fügsames Mädchen ist.
28 . April 2001 Gestern abend Strindberg. Ich würde so gern seine Prosa haben, aber sie ist nicht zugänglich, jedenfalls nicht auf Ungarisch. Frauen und Männer; böse Einsichten in die Psyche – Einsichten sind überhaupt immer böse. Aber was wollen wir, Takt ist das Höchste, was wir in der Beziehung von Mensch zu Mensch erreichen können. Und die Liebe, könntest du fragen. Ja, aber auch die Liebe ist mit Takt zu behandeln. – Das wiederum ist nicht immer und nicht jedem möglich.
29 . April 2001 Wegen des neuen Romans in
Kaddisch
lesend, verblüfft mich die Aufrichtigkeit der Todessehnsucht, die der Urgrund, der Spiritus rector dieses kleinen Romans war. Und auf einmal erinnerte ich mich auch wieder an die triste Stimmung jener Jahre, in der aber doch soviel Spannung steckte, daß es für das Zustandekommen eines Romans wie
Kaddisch
reichte.
Seit neuestem gewöhne ich mich an Schlaftabletten. Fast habe ich deswegen Gewissensbisse: Um des guten Schlafes willen, könnte man sagen, arbeite ich nicht richtig. Ich nehme sie auf Pump. Heute morgen erzählte M., mein linker Arm habe eine halbe Stunde lang gezuckt, nachdem ich nachts eingeschlafen war. Ich habe keinerlei Erinnerung daran und habe auch nichts geträumt. Vielleicht wird mein Tod von Symptomen des Veitstanzes begleitet sein: das wird amüsant – aber nicht für die anderen. Ich hingegen werde kaum mehr in der Lage sein, mitten im Todeskampf noch zu lachen.
1 . Mai 2001 Eheleben und Schreiben: ein Paradebeispiel für zwei nicht miteinander zu vereinbarende Lebensformen. Eine ewige Quelle von Gewissensbissen (falls man noch nicht völlig blind vor dem eigenen Egoismus ist).
2 . Mai 2001 Wenn es den allwissenden Erzähler nun einmal nicht mehr gibt. Und wir es dennoch mit Allwissenheit zu tun haben, weil wir uns in der dritten Person bewegen … Vielleicht ist es mir doch gelungen, wenn auch nicht
die
, so doch wenigstens
eine
Lösung zu finden: Existenzgrundlage für den Roman ist ein Theaterstück. Die Wirklichkeit des Werkes ist ein anderes Werk. Hinzu kommt, daß wir dieses andere Werk – das Theaterstück – nicht in Gänze kennen. Es ist für uns genauso dunkel wie die Schöpfung, die uns umgebende Wirklichkeit, dunkel für uns ist. Und genauso fragmentarisch; in gewissem Maße aber dennoch durchschaubar, da wir ja nach einer uns gemäßen Logik leben.
5 . Mai 2001 Die erste Sequenz des Romans steht. Verrückte Tage. Erregtheit, Schlaflosigkeit bis hin zu Herzbeschwerden; Schlaftabletten. Computer-Freuden. Computer-Aufregungen. Der manchmal halbe Tage beanspruchende Kampf mit den Seiten; andererseits, wenn ich das gleiche mit der Maschine tippen müßte, würde es Tage dauern. Letzten Endes mag ich den Computer («habe ich ihn lieb»?!) – wer hätte das wohl gedacht? Den erniedrigenden Kampf mit der Technik als Freude aufzufassen, weil ich ihn schließlich noch gewinne – wie beschämend. Aber noch beschämender wäre es, mit meiner Parkinson-Hand zu kämpfen und den Kampf, ob ich meine eigene Schrift lesen kann, schließlich aufzugeben, denn da kann ich nur verlieren, und diese Niederlage wäre – weil ich ja letztlich mit dem Tod kämpfe, wenn ich mit der Parkinson-Krankheit kämpfe – eine tödliche Niederlage.
7 . Mai 2001 Eine Aussage ist
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