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Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Titel: Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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Glück – augenscheinlich – begünstigt, es verdrießt mich, womit ich dafür zahlen muß, die vielen Verluste verdrießen mich, die vielen Ressentiments, die mir entgegengebracht werden.
    6 . August 2003  Ist es glaubhaft, wenn ich sage, daß ich mein Lebenswerk nicht genügend kenne? Aber wahrscheinlich ist es so.
Liquidation
habe ich sozusagen erst gestern abgeschlossen, und es würde mich Anstrengung kosten zu sagen, was ich damit wollte und wovon das Buch handelt. Suchen mich deswegen niemals Zweifel heim? Das ist so zu verstehen, daß ich an jedem Satz von mir zweifle, aber nie daran, daß ich das, was ich gerade schreibe, schreiben muß. Nachdem ich es geschrieben habe und nachdem ein wenig Schuldgefühl und Überdruß überwunden sind, weiß ich nicht mehr, was ich geschrieben habe. Wie wichtig mein Werk ist, habe ich nie erwogen; darüber weiß ich nichts. Zu durchdringend ist die «Gleichgültigkeit der Welt». Ich glaube nicht, daß
sub species aeternitatis
irgend etwas von besonderer Wichtigkeit sein könnte.
Mir
, der ich nicht wichtig bin, ist trotzdem etwas wichtig, das nicht wichtig ist: Ungefähr so verhält es sich. Wenn ein Komponist sagt, daß er sein ganzes Leben lang eine neue musikalische Sprache gesucht habe, irgendwo zwischen Avantgarde und Tonalität, es ihm aber nicht gelungen sei, diese Sprache zu finden, und er deswegen an seinem ganzen Werk Zweifel hege, dann würde ich fragen,
wozu
er diese bestimmte neue musikalische Sprache gesucht hat. Gab es etwas, wozu er sie gesucht, jedoch nicht gefunden hat, haben wir Halbbegabung oder Dilettantismus vor uns. Hat er diese gewisse Sprache gefunden, aber nur für akustische Effekte genutzt, können wir, egal wie hoch das Niveau dieser Effekte auch ist, nur von leerer Technik sprechen, die zwar wie Kunst aussieht, aber keine ist, weil ihr die Seele fehlt. Wird die Sprache dagegen an ihrer Originalität gemessen, ist das Gleichgewicht wahrscheinlich wiederhergestellt, weil es die Originalität selbst ist, die sich ihre Sprache schafft. – Möglich, nicht sicher, aber möglich, daß das bei mir geschehen ist, und daher mein Unbekümmertheit meinem Werk gegenüber, daher meine achselzuckende Sicherheit; denn es kann sein, daß ich ein schlechtes Werk hervorgebracht habe, aber es ist ohne jeden Zweifel mein eigenes Werk: und für mich ist allein das wichtig.
    7 . September 2003  Drei Anfänge, in archaischer Roman-Manier:
    «Das Wiedersehen bestürzte sie; die Einsamkeit hatte sich auf seinem Gesicht wie die unauslöschliche Spur einer schweren Krankheit abgelagert …»
    «Wenn er an seine Reise um die Welt dachte, so war ihm wirklich in Erinnerung geblieben eigentlich nur das italienische Hotelklo, dessen Wasserspülung sich mit dem Getöse einer kosmischen Katastrophe vollzog.»
    «Sie unterhielten sich bis spät in die Nacht, und während sie die zeitgenössische englische Literatur analysierten, hatte er die ganze Zeit das Gefühl, daß sein Gast ihn gern um eine größere Geldsumme bitten wollte, ohne Zinsen und auf längere Frist, oder vielleicht eher noch in Form einer einmaligen Schenkung. Er zögerte, weil er fürchtete, das Geld würde zwischen ihnen stehen und ihre Freundschaft beenden; der andere würde meinen, gedemütigt zu werden, und darüber hinaus denken, daß der Freund sich als knickerig erweise, obwohl er ihm doch, wenn auch in feinen Andeutungen, sein Elend offenbart hatte: Mit der Freundschaft wäre es also auf jeden Fall vorbei. Und nachdem seine Reue nachgelassen hatte, durchfuhr ihn der zynische Gedanke, daß dies schließlich sogar die billigere Lösung wäre.»
    Gestern aus Mantua zurückgekehrt. Als wir in Tegel gelandet waren und im Taxi saßen, sagte ich zu M., ich lebe zum ersten Mal so, wie ich immer gern gelebt hätte. – Dabei tiefe Müdigkeit, Rückenschmerzen, physischer Verfall. Und trotzdem … Die Stille des Sonntagmorgens, und irgendwoher aus der Ferne das Läuten einer protestantischen Glocke.
    22 . September 2003  Auf daß eine Spur bleibe:
Felszámolás
bzw.
Liquidation
ist auf Ungarisch und auf Deutsch erschienen. Ein dreizehnjähriger Kampf, und ein schlankes, legeres, unterhaltsames Büchlein.
    26 . September 2003  Gehetztheit. Reisen. Während langsam und gnadenlos die große Uhr tickt. – Beckett konnte in seinen späten Jahren die
Göttliche Komödie
auswendig. – Der Lebensmittelladen Mayer in der Meineke-Straße, vor dem einst der Bettler in seiner Lederweste hockte, hat zugemacht.
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