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Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition)

Titel: Letzte Einkehr: Tagebücher 2001-2009 Mit einem Prosafragment (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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Mann essen solle. Dann nach Hause, und jetzt versuche ich, an der Rede weiterzuarbeiten. – Unmöglicher physischer Zustand, Schmerzen, Kraftlosigkeit, Parkinson.
     
    29 . Dezember 2003  Zwei erstickende Tage. Dann kam gestern abend M. aus Budapest zurück. Die Gürtelrose plagt sie immer noch. Nachts konnte ich nicht schlafen, stand auf und gab der Reemtsma-Rede den entscheidenden Stoß; heute am frühen Vormittag brachte ich sie endlich zum Abschluß. Las sie M. vor, sie fand sie gut. Ich bin glücklich; habe mir fest vorgenommen, nach Beendigung des schon versprochenen Nachworts für das Esterházy-Buch nie wieder Hausaufgaben dieser Art zu übernehmen. Danach gelöstes Gespräch mit M.: Wir freuen uns über die Berliner Abgeschiedenheit. Für mich gibt es keinen Platz mehr in dem frustrierten Ungarn, wo ich – wegen des akuten Neids – die meisten meiner Freunde verloren habe; in diesem Land, das ich als meine Heimat betrachten sollte, versteht man nicht und wird auch nie verstehen, warum «gerade ich» den Nobelpreis erhalten habe; weil ich Jude bin, sagen sie und nicken dazu bedeutsam, wie Leute, die Bescheid wissen, wie’s auf der Welt zugeht.

2004
    1 . Januar 2004  Die Silvesternacht zu zweit. Um uns herum das Krachen des Berliner Feuerwerks. Morgens um drei verkrochen wir uns ins Bett.
    3 . Januar 2004  Gestern den Reemtsma-Text überarbeitet. Wenn man mich im Augenblick fragte, was ich mir vom neuen Jahr wünsche, würde ich ohne Zögern antworten, schnell und schmerzlos sterben. – Letzte Nacht das bisher fertige Material für
Die letzte Einkehr
durchgelesen: JA . Aber ich weiß nicht, ob es mir möglich sein wird, es fortzusetzen. – Heute begann der Tag mit spätem Aufstehen, ich brachte es fertig, eine Stunde spazierenzugehen, dann schlug M. vor, uns zum Kaffee ins Kempinski zu setzen; als wir unseren Kaffee getrunken hatten, war es gegen sechs Uhr abends, M. ging einkaufen, nach anderthalb Stunden kehrte sie mit einer neuen Lampe zurück, dann schlug sie vor, zum Abendessen ins Thai-Restaurant zu gehen. Wir gingen. Nachdem wir zurück waren, hätte ich mir gern die Kassette mit den Interviews über meine «Lieblingsmusiken» angehört; die Walküre-Aufnahme mußte ich überspringen, weil M. sie nicht mag, beim vierten Satz von Mahlers Neunter – ich wollte ihn unbedingt bis zu der großartigen Szene hören, wo nach dem Spiel der Holzbläser und der Harfe die Streicher aufschluchzen – machte sie mir Vorwürfe – übrigens zu Recht, weil ich ihr das Inhalationsgerät nicht zusammengebaut hatte. Sie sagte, hier sei alles gegen sie gerichtet, geschehe alles zu ihrem Nachteil. In meiner Wut stellte ich die Mahler-Symphonie ab und versuchte, das Inhalationsgerät zusammenzubauen: Es gelang nicht. Da war es etwa halb zwei Uhr nachts, jetzt ist es halb vier. Von Schlaf kann keine Rede sein. Ich habe das Gefühl, in eine Moorfalle geraten zu sein, aus der kein Weg mehr herausführt. Übrigens verdientermaßen. Ich denke oft an A., die jetzt wahrscheinlich oben im Himmel über mich lacht; sie hatte all das vorausgesehen. – Wenn man mich in diesem Augenblick fragte, usw. Ich verstehe mich selbst nicht, ich verstehe mein Leben nicht. Ein verheirateter Philosoph ist etwas für die Komödie; wenn man mich in diesem Augenblick fragte und so weiter … Noch hasse ich mein Leben nicht restlos, aber ich bin auf dem besten Wege dazu.
    4 . Januar 2004  Nach einer üblen Nacht habe ich M.s Inhalationsgerät in die Apotheke gebracht, wo man es zusammenbaute und mir zeigte, wie es zu benutzen ist. Ehe ich nach Hause kam, war es fast 11 Uhr. M. hinter geschlossener Tür, tiefe Stille. Vielleicht schläft sie. Ich aß ein paar Oliven, die ich im Kühlschrank fand. Mich erwarten unangenehme Stunden. Aber erst später. Jetzt halte ich fest, was mir unterwegs eingefallen ist: Ich schreibe ein Vorwort zur
Letzten Einkehr,
in der alten Manier, mit steinerner Miene. Ich behaupte, das Manuskript in einer alten Schublade gefunden zu haben, wobei ich nicht verhehle, daß es um mein eigenes Manuskript geht. Wenn ich das zustande kriege, ist die Sache gerettet und ich kann auch die Namen ändern. Eventuell: A., B., C. (??)
    5 . Januar 2004  Habe es zwei Tage mit dem Vorwort versucht: es geht nicht. Überall paßt ein Vorwort hin, nur hierhin nicht. Sonst würde ich auch das Grundprinzip des Romans vergessen: etwas «radikal Subjektives». Wenn ich mich mit einem Vorwort distanziere, wird es weder radikal noch

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