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Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi

Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi

Titel: Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tom Hillenbrand
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Richtung Flughafen führte. Rechts und links dieser Avenue Kennedy genannten Rennstrecke standen Bürokästen. Erst kamen ein paar auffälligere Gebäude, höher als der Rest, mit vergoldeten Fensterfronten oder anderem Blendwerk. In ihnen residierte die Europäische Union. Den Übergang vom Europa- ins weiter stadtauswärts gelegene Bankenviertel erkannte man vor allem daran, dass die Glaskästen niedriger und seelenloser wurden. Austauschbare Boxen waren das, nur die Schriftzüge verrieten, wer darin saß: Amerikanische Investmentbanken, Londoner Anwaltskanzleien, französische Wirtschaftsprüfer und vor allem Fonds, Fonds und nochmals Fonds. Läden oder Restaurants gab es keine. Die einzigen Geschäfte, die auf Normalverbraucher abzielten, waren ein Multiplexkino und ein Hypermarché. Es gab nicht viele Dinge, die Kieffer derart zuwider waren wie diese überdimensionierten französischen Supermärkte, in denen man sich stets die Hacken wund lief, weil Milch und Cornflakes dreihundert Meter weit auseinander standen. Ähnlich verzichtbar erschienen ihm Kinos, in denen gleichzeitig fünfzehn austauschbare Hollywoodfilme liefen und Cola in litergroßen Pappbechern serviert wurde. Ein Vollplastikvergnügen war das, es passte zur ganzen Künstlichkeit des Kirchbergs.
    Er stellte seinen Wagen im Parkhaus unter dem Hypermarché ab und machte sich ächzend auf den Weg zum Ausgang. Beim Laufen tat Kieffer seit dem Überfall in Paris die rechte Flanke weh. Er überlegte, sich zunächst in der Supermarkt-Apotheke eine Packung Voltaren zu kaufen, entschied sich dann aber dagegen, denn er war spät dran. Als Treffpunkt hatten sie den »Langen Banker« ausgemacht. Sykes war noch nicht da. Kieffer verkürzte sich die Wartezeit mit einer Ducal und betrachtete die Statue. Der »Lange Banker« trug einen dunklen Anzug mit Krawatte, hatte eine Finanzzeitung unter den Arm geklemmt und umschloss mit seiner Rechten einen Regenschirm, den er als Spazierstock benutzte. Kieffer blies Rauch aus und studierte das Gesicht der Statue. Dazu musste er den Kopf weit in den Nacken legen, denn der »Banker« war gut sieben Meter hoch, er sah aus, als habe man ihn in die Länge gezogen. Trotzdem blickte er nicht unglücklich drein, eher im Gegenteil. Vielleicht hatte er gerade seinen Jahresbonus oder eine staatliche Kapitalspritze erhalten. Als die Statue im Finanzviertel aufgestellt worden war, hatte in der Zeitung ein Kunstexperte erklärt, die Größe des Bankers sei ein ironischer Seitenhieb auf das überzogene Selbstverständnis der Finanzbranche. Kieffer besah sich die vorbeilaufenden Anzugträger, die weder ihn noch ihren hochgeschossenen Kollegen eines Blickes würdigten. Er vermutete, dass sich die meisten von ihnen für zu wichtig nahmen, um für derlei Sarkasmus empfänglich zu sein. Er schaute nochmals zu der Statue auf. Wenn der Künstler mit seinem Werk Kritik am Kapitalismus äußern wollte, so hatte er es auf jeden Fall sehr behutsam getan.
    »Ich finde, man hätte ihm noch einen Bowlerhut und eine Havana verpassen sollen.«
    Kieffer drehte sich um und schaute in das Mondgesicht Charles Sykes’, der ihm sogleich seine Pranke hinhielt. Der Engländer war genauso groß beziehungsweise klein wie Kieffer. Jedes Mal, wenn der Koch den Banker sah, wurde ihm bewusst, dass er sich wegen seines Übergewichts nicht allzu viele Sorgen machen musste – gegen Sykes war er ein Hänfling. Der Brite gehörte zu jenem Männertyp, der nicht nur an Bauch und Hüften zulegte, sondern im Ganzen aufging, so als habe man ihn an eine Luftpumpe angeschlossen. Rumpf, Arme, Beine, ja sogar die Finger, alles wirkte aufgeblasen, von dem medizinballartigen Kopf ganz zu schweigen. Auch Sykes’ Tausend-Pfund-Anzug konnte das kaum kaschieren; in einem billigeren Zwirn hätte er vielleicht wie ein Hundertzwanzig-Kilo-Banker ausgesehen. Dank der Künste seines Savile-Row-Schneiders ging er als Hundertzehn-Kilo-Banker durch. Als Kieffer Sykes’ Hand ergriff, fiel sein Blick auf dessen Manschettenknöpfe. Heute waren es Meerjungfrauen. Sie waren so groß wie Ein-Euro-Münzen und bestanden aus Sterling-Silber und grünem Glas. Nein, vermutlich waren es eher Edelsteine.
    »Danke, dass Sie sich die Zeit nehmen, Charles. Ich habe einige Fragen zur Finanzbranche und bin mit meinem Latein am Ende«, sagte Kieffer
    »Mal sehen, was ich tun kann. Kommen Sie, wir gehen in unsere Cafeteria.«
    Sykes führte ihn durch das Atrium eines benachbarten Bürogebäudes in eine sehr

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