Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi
ich jetzt los.« Er schaute auf sein Telefon. »Gleich kommen die Einkaufsmanagerzahlen und die Arbeitslosenanträge. Wird ein heißer Ritt.«
»Eine Bitte noch, Charles. Ihr Freund, dieser Hedgefonds-Experte. Der hat Kats persönlich gekannt?«
»Ich denke schon, ja.«
»Glauben Sie, ich könnte mal mit dem sprechen?«
Sykes nahm ein silbernes Visitenkartenetui sowie einen Montblanc-Füller aus der Tasche. Auf eins der Kärtchen schrieb er eine E-Mail-Adresse und gab sie Kieffer. »Gustas Kwaukas von Pickman Invest. Schreiben Sie ihm eine Mail, mit schönem Gruß von mir.«
»Hat er keine Telefonnummer?«
»Doch, aber er würde eh nicht rangehen. Glauben Sie mir, E-Mail ist Ihre beste Chance.« Sykes streckte Kieffer die Wurstfinger hin. Der Koch nahm seine Hand.
»Vielen Dank, Charles. Kommen Sie bald wieder einmal zum Essen vorbei. Sie kriegen ein Spezialmenü.«
»Mache ich. Spätestens übernächste Woche, wenn das Quartal zu Ende ist und der Wahnsinn abebbt.« Dann schickte sich Sykes an, zu verschwinden. Er war schon halb durch die Tür, als Kieffer noch etwas einfiel. »Charles!«
»Ja, bitte?«
»Wissen Sie zufällig, was ›Soft Red Winter‹ bedeutet?«
Der Fondsmanager überlegte kurz. »Das ist eine Weizensorte.«
17
Auf der Fouer blieb es am Abend vergleichsweise ruhig. Der Ansturm der ersten Woche hatte nachgelassen, es waren weniger Ausländer auf dem Glacis unterwegs. Es mochte am Ferienende liegen, am nicht mehr ganz so makellosen Wetter – oder vielleicht daran, dass manch einer an den ersten Kirmestagen bereits derart viel Backfisch, Nougat oder Waffeln in sich hineingeschaufelt hatte, dass ihm vor einem weiteren Besuch grauste. Kieffer hingegen konnte nie genug von der Kirmes bekommen. Schon in seiner Kindheit war das so gewesen. Inzwischen hatte er zwar kein Interesse mehr an Autoscooterfahrten oder Luftgewehrschießen, ganz zu schweigen von jenen neuartigen Fahrgeschäften, für die man eigentlich ein Astronautentraining absolviert haben musste. Trotzdem kam er jedes Jahr an drei bis vier Tagen her und aß sich durch das Angebot.
Dieses Jahr würde Kieffer die Fouer wegen seines Stands weitaus öfter besuchen, und er musste zugeben, dass ihm das Dauergedudel ein wenig auf die Nerven zu gehen begann. Es war etwas anderes, wenn man Besucher war und jederzeit in die ruhige Unterstadt flüchten konnte. Oder hatte seine Nervosität andere Gründe? Bei jeder unbedeutenden Rempelei vor seinem Stand zuckte er neuerdings zusammen. Ständig ließ er seinen Blick über die Menschenmenge gleiten, auf der Suche nach verdächtigen Gestalten.
Stundenlang frittierte er an diesem Donnerstag Gromperekichelcher. Wider alle Kaufmannsvernunft hatte er bei seinem Trierer Großhändler erneut die sündhaft teure »Rose de France« bestellt. Zuvor hatte er kurz mit einer namenlosen Supermarktkartoffel experimentiert, doch die daraus resultierenden Reibekuchen waren ein Reinfall gewesen, mehlige Fettschwämme ohne Biss und Geschmack. Deshalb blieb er bei »Rose«, auch wenn deren Kilopreis seit seiner letzten Bestellung um weitere zwanzig Cent gestiegen war.
Gegen zehn Uhr abends wurde es Kieffer zu viel. Er überließ den »Roude Léiw« seiner Stellvertreterin Claudine und lief hinüber zum Riesenrad. Er war jedes Jahr gefahren, seit er zehn war, mindestens. Nun schien ihm ein guter Zeitpunkt zu sein. Die Sonne war bereits untergegangen und sandte ihre letzten rötlich-goldenen Strahlen in den Luxemburger Himmel, als Kieffer in einer der Gondeln Platz nahm. Er schaute hinab, auf den kleiner werdenden Kirmesplatz. Dahinter erblickte er die Oberstadt, Notre-Dame, das spitze Türmchen der Luxemburger Sparkasse, das Alzettetal. Als es wieder abwärtsging, schaute Kieffer in die andere Richtung, zum Plateau de Kirchberg.
Was hatte Aron Kats das Leben gekostet? Was hatte ihn veranlasst, von der Brücke zu springen? Und wieso hatte er Valérie seinen Schlüsselbund gegeben? Nach allem, was Kieffer bislang in Erfahrung hatte bringen können, musste es etwas mit Börsengeschäften zu tun haben, vermutlich mit computergesteuerter Spekulation auf Nahrungsmittel. Das seltsame Programm auf Kats’ Tabletcomputer war offenbar nach einer Weizensorte benannt, aber was genau tat es?
Die Gondel glitt zwischen den Stahlträgern hindurch, an denen das Riesenrad aufgehängt war, und setzte zu einer weiteren Runde an. Zunächst hatte er Gérard das Tablet geben wollen, dem EDV-Chef des Guide Gabin, sich dann aber
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