Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi
waren zu einer Ausgehmeile mit Bars und Restaurants umfunktioniert worden. Der Koch durchquerte den lang gezogenen, gepflasterten Innenhof, der parallel zur Alzette lag. Grelles Scheinwerferlicht erleuchtete die renovierten Backsteingebäude. Ihre Caipirinhas und Alkopops umklammernd standen Touristen und Büroangestellte in Grüppchen vor den Bars und unterhielten sich. Kieffer schob sich durch die Menge und lief bis zum Ende des Hofs, wo die Bars nagelneuen Bürogebäuden Platz machten. In den meisten von ihnen brannte noch Licht.
Dort hoffte er, Per Sundergaard anzutreffen. Der Schwede arbeitete für eine jener Internetfirmen, die sich in den vergangenen Jahren in der Luxemburger Unterstadt angesiedelt hatten. Für gewöhnlich residierten ausländische Unternehmen auf dem Kirchberg. Aber den Bossen dieser Technologie-Startups war es offenbar uncool erschienen, ihre jungen Mitarbeiter in dem verschlipsten Bankenviertel unterzubringen. Also hatten sie nach einer hippen Alternative gesucht und diese in Clausen gefunden. Kieffer beobachtete die Entwicklung mit einer gewissen Sorge. Zwar freute er sich über die zusätzliche Kundschaft und hatte – nicht zuletzt auf Sundergaards Drängen – sogar einen WLAN-Hotspot im »Deux Eglises« installieren lassen. Doch gleichzeitig befürchtete er, dass all die gut betuchten Hipster seine Unterstadt allmählich kaputt machten. In Clausen lebten nicht einmal tausend Menschen, Ähnliches galt für Grund, wo sich sein Wohnhaus befand. Das Ganze konnte schnell kippen.
Sundergaard zumindest war okay, wenn Kieffer auch nie ganz verstanden hatte, was der Mann genau tat. Er arbeitete für eine Firma namens Horus Eye, die zu einem finnischen Handykonzern gehörte und Kartensoftware entwickelte. Soweit Kieffer wusste, war Sundergaard Programmierer. Zumindest zeigte der Bildschirm des Laptops, den er im »Deux Eglises« stets auf seinem Tisch stehen hatte, meist lange Reihen von Codes an. Der junge Mann hatte Kieffer schon einmal geholfen. Vielleicht würde er ja dem Tablet dessen Geheimnisse entlocken können.
Der Koch lief an den Firmenschildern von Skype und Ebay vorbei und klingelte an einem dahinter liegenden Glaskasten. Es fiepte, dann öffnete sich die Tür mit einem sonoren Summen. Er war noch nie in dem Gebäude gewesen. Erstaunlicherweise war der Empfang noch besetzt. Dort saß eine junge Frau, sie musterte ihn argwöhnisch. Lag es an seinem Alter? Oder an der Cordhose? Vermutlich gab es noch zehn andere Dinge an ihm, die der Sekretärin signalisierten, dass er nicht hierhergehörte.
»Gudden Owend, Monsieur. Der Lieferanteneingang …«
Kieffer schüttelte den Kopf. »Ich möchte zu Per Sundergaard. Ist er da?«
»Haben Sie einen Termin?«
»Nein. Aber sagen Sie ihm, Xavier Kieffer hat einen Code zu knacken.«
»Ich verstehe nicht …«
»Er ist ein Bekannter von mir. Es wäre sehr freundlich, wenn Sie es ihm ausrichten könnten. Wenn er mich nicht sehen will, bin ich gleich wieder weg.«
Die Empfangsdame telefonierte kurz. »Er ist schon auf dem Weg.«
Wenige Minuten später kam Sundergaard den Gang hinuntergewatschelt. Er war Mitte dreißig, semmelblond und pausbäckig. Es war bereits abzusehen, dass es für seine zukünftige Figur nur zwei Optionen gab: Entweder versuchte er, sich mit mehr Sport und weniger Creamcheese-Bagels dem skandinavischen Schönheitsideal zumindest ein wenig anzunähern. Oder er machte weiter wie bisher und sähe dann in zwanzig Jahren so aus wie Sykes ohne Anzug. Wie immer trug der Schwede eine wuchtige Hornbrille sowie ein albernes T-Shirt. Es war mit dem bekannten Schwarz-Weiß-Foto bedruckt, auf dem Elvis Präsident Nixon die Hand gab. Nixon war allerdings herausretuschiert und durch Darth Vader ersetzt worden. Kieffer erhob sich von dem kreischroten Ikea-Sessel, auf dem er zwischenzeitlich Platz genommen hatte. Sundergaard schüttelte ihm die Hand.
»Xavier! Hi, Mann! Das ist ja eine Überraschung!«
»Bitte entschuldige den Überfall. Habe ich dich gestört?«
»Ehrlich gesagt ja, ich war gerade im Tunnel.«
»Im Tunnel?«
»Ich habe gecodet. Programmiert. Jetzt ist statistisch gesehen die beste Zeit, weil einen da«, Sundergaard kicherte, »mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit niemand stört. Aber so viel zur Statistik. Komm, wir gehen in meine Höhle.«
Sundergaards Büro sah aus, als ob es ein Achtjähriger mit zu viel Taschengeld eingerichtet hätte. Es gab Lichtschwerter, knallbunte Spielzeuggewehre und
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