Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi
Bankräubers. »Aber warum hat man ihn dann freigesprochen?«
»Verfahrensfehler! Silverstein hat auf Basis des Economic Espionage Act geklagt. Aber der Richter war der Meinung, dass dieses angestaubte Industriespionage-Gesetz nicht für Computercodes gilt. Er hat sie, anders als Patente, nicht als immaterielle Vermögensgüter eingestuft. Und so durfte Kats unbehelligt die USA verlassen und zu Melivia wechseln. Angeblich war er seitdem nicht mehr in den Vereinigten Staaten, aus Angst davor, dass es sich die dortige Justiz doch noch anders überlegt.«
»Und was hat Melivia mit Silversteins Algorithmen gemacht?«
Kwaukas setzte wieder ein verschmitztes Lächeln auf. »Sicher nichts. Das wäre ja illegal. Silverstein könnte ansonsten auf die Idee kommen, Schadenersatz in Milliardenhöhe zu fordern.«
»Ich verstehe.«
Der Fondsmanager trommelte mit den Fingern seiner rechten Hand leise auf den Tisch. »Was mich noch interessieren würde, ist: Was glauben Sie?«
»Wie meinen Sie das?«, fragte Kieffer.
»Na, wie diese Nummer gelaufen ist. Quantgenie mit krimineller Vergangenheit kündigt bei größtem Rohstoffkonzern der Welt, und springt dann von einer Brücke. Wieso hat er das getan?«
»Wenn ich es wüsste, Herr Kwaukas, würde ich es Ihnen gerne sagen, aber …«
Sein Gegenüber verzog die Mundwinkel. »Nicht wissen. Ich meine, was sie glauben, Herr Kieffer. Den genauen Tathergang, wie man bei der Polizei wohl sagen würde, kennt vermutlich derzeit niemand. Aber Sie waren schließlich von Anfang an sehr nah dran an dieser Geschichte. Was ist Ihr Gefühl?«
Er überlegte einen Moment: »Ich glaube, dass Kats vielleicht vor seinem Tod irgendeine Straftat begangen hat. Vielleicht einen Datendiebstahl wie den von Ihnen erwähnten, vielleicht etwas anderes. Aber irgendeine größere Sache muss vorgefallen sein. Ansonsten springt niemand von einer Brücke.« Etwas leiser fügte er hinzu: »Oder wird hinuntergestoßen.«
Kwaukas nickte, er schien über etwas nachzugrübeln. Kieffer war unwohl bei dem Gedanken, dass der Hedgefondsmanager möglicherweise darüber sinnierte, wie er aus dieser der breiten Öffentlichkeit noch nicht in allen Details bekannten Tragödie Kapital schlagen konnte.
Er beeilte sich, das Thema zu wechseln. »Noch eine ganz andere Frage: Was für ein Mensch war Kats? Ich habe ihn nur einmal gesehen, aber er wirkte auf mich, wie soll ich sagen …. kauzig.«
Der Lette sah ihn prüfend an. »Inwiefern?«
»Er wirkte orientierungslos. Irgendwie abwesend.«
Kieffers Gesprächspartner nahm einen großen Schluck Cola und presste die Lippen zusammen. »Wissen Sie, was ein Savant ist?«
Kieffer nickte. »Eine Art Genie.«
»Fast. Jemand mit einer Inselbegabung, die weit über das hinausgeht, was selbst ein hochintelligenter Normalo zu leisten vermag. Manche haben ein unglaubliches Gedächtnis, wie Dustin Hoffman in dem Film ›Rainman‹. Andere können in einer Woche Koreanisch lernen. Kats konnte rechnen.«
»Ich habe gehört, dass er sich Tausende Primzahlzwillinge merken konnte.«
»Unter anderem. Kats war Synästhetiker. Zahlen, vor allem Primzahlen, besaßen für ihn eindeutige Farben und Formen. Man hatte den Eindruck, er sei ein laufender Taschenrechner, aber das trifft es nicht. Er war so ähnlich wie dieser Engländer, Daniel Tammett heißt der. Synästhetiker rechnen nicht. Sie wissen die Lösung einfach, sie sehen die Ergebnisse als bunte Formen.«
Kwaukas machte sich eine weitere Cola auf. »Kats war vor einem Jahr mal hier, zu einem Workshop. Wir waren alle völlig aus dem Häuschen. Man konnte ihm riesige Zahlen zuwerfen, und er zog daraus die Quadratwurzel, oder er zerlegte sie in Faktoren, einfach so. Und wenn man ihn fragte, wie er das macht, erzählte er ganz schüchtern, dass die einundsiebzig für ihn lilafarben ist und aussieht wie ein verbogener Donut. Wahnsinn. Aber …«, Kwaukas blickte auf seine Hände, »das hat natürlich alles seinen Preis.«
»Seine Verschrobenheit?«
»Genau. Savants sind fast immer Autisten. Kats war nicht total kontaktunfähig, er litt vermutlich unter der halbwegs sozialverträglichen Asperger-Variante. Dennoch vermied er den direkten Blickkontakt mit anderen. Glauben Sie mir, ich habe hier zwanzig quantitative Analytiker, die für mich arbeiten. Das sind alles ziemlich kauzige Eierköpfe. Aber sie sind harmlos gegen Kats. Als er mir gegenüber saß, so wie Sie jetzt, habe ich ihm einen Kaffee angeboten. Und was macht er? Holt einen
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