Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi
›Pickman’s Model‹, so heißt unser automatisiertes Handelssystem, muss kontinuierlich laufen. Wir haben deshalb einen zusätzlichen Serverpark in einem anderen Haus, falls dieser hier mal ausfällt. Außerdem eigene Stromgeneratoren sowie ein spezielles Ventilationssystem. Wenn es zu einem Brand kommt«, Kwaukas zeigte auf einen der grauen Serverklötze, »können wir ja schlecht die Sprinkleranlage einschalten. Stattdessen lässt sich binnen fünf Sekunden die komplette Luft absaugen und der Raum vakuumisieren, um das Feuer zu ersticken. So, und jetzt bringe ich Sie runter.«
21
Das TV-Studio, in dem Estebans neue Show gedreht werden sollte, befand sich auf dem Gelände eines zum Medienzentrum umfunktionierten alten Eisenwerks in Hamburg-Altona. Xavier Kieffer und Valérie Gabin fuhren direkt von ihrem Hotel mit dem Taxi hin. Wie schon am Vortag redeten sie kaum miteinander. Das lag, zumindest nach Meinung des Kochs, ausnahmsweise nicht an seiner Stoffeligkeit oder an La Gabins Stimmungsschwankungen, sondern an dem neuen Schatten seiner Freundin. Er hieß Casaubon und sah aus wie ein Schiffsschaukelbremser von der Schueberfouer, den man in einen Anzug eingenäht hatte. Bei ihrer gestrigen Alsterrundfahrt hatte Valéries Bodyguard auf der Bank hinter ihnen gesessen, während des Abendessens im »Le Dindon« am Nebentisch. Nun, während der Taxifahrt, okkupierte Casaubon den Beifahrersitz, versperrte Kieffer den Blick nach vorne und machte jede Konversation unmöglich. Dabei sagte der Mann überhaupt nichts, und er schien weder zu lauschen noch zu gaffen. Doch er war da, und seine Anwesenheit reichte, um alles aus dem Gleichgewicht zu bringen.
Einerseits war Kieffer froh, dass Valérie sich entschieden hatte, einen Personenschützer zu engagieren; er würde ruhiger schlafen, nun, da er wusste, dass sie bewacht wurde. Andererseits hoffte er, sie werde den Kerl so schnell wie möglich wieder entlassen. Casaubon war ein Störsender, und wenn er nicht bald verschwand, das fühlte Kieffer, würde etwas zwischen ihnen kaputtgehen.
Das Taxi wackelte heftig, als der Fahrer von der Haupt- in eine Seitenstraße abbog und sie über Kopfsteinpflaster zu rumpeln begannen. »Hier links war früher die Gurkenfabrik«, erklärte der Chauffeur ungefragt, »hat den ganzen Tag nach Essig gestunken. Gleich kommt das Eisenwerk.« Niemand erwiderte etwas. Rechts tauchten die »Stahlhöfe« auf, sie fuhren durch den Innenhof und hielten neben einer rot geklinkerten Halle. Vor deren geschlossener Doppeltür stand Esteban, rauchte und bellte in das Headset seines Telefons. Als Kieffer ausstieg, wehten ihm sogleich die Flüche des Argentiniers entgegen.
»So ein Penner! Otterngezücht! Der Arsch soll sich einfach inmediatamente hierherbewegen! Seine blöde Tütensuppenpräsentation ist mir egal … nein, davon will ich nichts hören. Adiós!«
Esteban drückte mit der linken Hand auf einen Knopf an seinem Headset, während er gleichzeitig mit der rechten die aufgerauchte Zigarette in einen Blumenkübel schnippte. Kieffer hob die Hand zum Gruß. Esteban nickte ihm zu. »Madre de dios, wie sehr ich diesen aufgedunsenen bayerischen Sack hasse!«
»Von wem redest du?«, fragte Kieffer.
»Schörglhuber! Der Trottel sollte schon längst hier sein, aber irgendeiner seiner Werbedeals hat ihn aufgehalten.« Esteban steckte sich eine weitere Davidoff an. »Ché, ich bin schon wieder totalmente ausgepowert. Rendido! Wie soll ich das schaffen? Mit solchen idiotas kann ich nicht arbeiten, imposible.«
Kieffer kannte Josef Schörglhuber nur aus dem Fernsehen und aus Erzählungen, vermutete aber, dass es sich bei dem Sternekoch vom Tegernsee um einen eher schwierigen Zeitgenossen handelte. Souschefs und Küchenpersonal verschliss er dem Vernehmen nach noch schneller als Esteban; außerdem war Schörglhuber, das konnte man in seinen diversen TV-Kochshows beobachten, ein mürrischer alter Mann, er barst vor bayerischem Grant. Dennoch fand es Kieffer gut, dass Schörglhuber mit von der Partie war. Er war keiner dieser Schmalspur-Fernsehköche, deren Qualifikationen vor allem eine originelle Frisur und flotte Sprüche waren. Schörglhuber konnte richtig kochen. Ob das auch für die restlichen Typen galt, die in Estebans Show mitmachten, da war er sich nicht so sicher.
Als der Pampaprinz Valérie aus dem Auto steigen sah, hörte er augenblicklich auf zu fluchen, warf seine zweite Zigarette zu der ersten in den Kübel und schaltete sein Lächeln
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