Letzte Ernte. Ein kulinarischer Krimi
Schlüsselbund! Verdammt Val, es hat irgendwas mit diesen bunten Schlüsseln zu tun, die ich Lobato gegeben habe.«
22
Der Laden sieht aus, als ob sein Besitzer darin die Vergangenheit konservieren möchte. Auf der abgenutzten Kontorstheke, vor der er auf den Meister wartet, steht ein Wählscheibentelefon aus schwarzem Plastik, vielleicht sogar Bakelit. Dahinter hängen emaillierte Werbeschilder von Abus, in Frakturschrift versprechen sie deutsche Qualität und Sicherheit. Die Kasse ist noch vorsintflutlicher, ein damaszierter Metallklotz mit einem Hebel an der Seite. Ungeduldig trommelt er mit den Fingern auf das zerkratzte Kirschholz der Theke. Aus dem hinteren Teil des verwinkelten Ladens dringt das sirrende Schleifgeräusch der Schlüsselmaschine herüber. Er weiß nicht mehr, wie er hierhergekommen ist. Jedoch erinnert er sich vage daran, dem Handwerksmeister eben die Schlüssel ausgehändigt zu haben, die er sich geliehen hat und die er bald zurückgeben muss.
Das Sirren erstirbt, schlurfende Schritte nähern sich. Aus der Werkstatt taucht nun der Mann vom Schlüsseldienst auf. Er hinkt. Man sieht sofort, dass er nicht von hier ist. Er trägt eine Art Pluderhose und eine Lederschürze über dem muskulösen, gebräunten Oberkörper, sonst nichts. Der Großteil seines Gesichts wird von einem rußschwarzen Vollbart bedeckt. Der Mann mustert ihn kurz, dann holt er die Schlüssel hervor. Einer schimmert goldgelb, ein weiterer lilafarben, der dritte in silbrigem Rot. Der Mann packt die Schlüssel in eine kleine Papiertüte. Dann nimmt er die drei Kopien, die er gerade angefertigt hat und steckt sie in eine zweite.
Er hält dem Mann einen Hundert-Frang-Schein hin, doch der schüttelt nur unwirsch den Kopf. Also dreht er sich um, tritt vor die Tür. Und plötzlich findet er sich auf der Rouder Bréck wieder, Kirchbergseite. Die Brücke ist verlassen, nur ein einsamer Mann steht in ihrer Mitte und schaut hinab. Er kann dessen Gesicht nicht erkennen, weiß aber, dass es sich um Kats handelt. Er läuft hinüber, in der Hand die Papiertüte. Als er ankommt, lächelt der Russe ihm zu. Es ist ein müdes, ein mutloses Lächeln. Er hält ihm die Tüte hin. Kats betrachtet sie einen Moment, dann nimmt er sie. »Sind das alle vier?«
Er versteht die Frage nicht. Es sind doch nur drei Schlüssel. Bevor er antworten kann, öffnet Kats die Tüte und nimmt etwas heraus. Es ist ein Granatapfel. Er bricht die Frucht auseinander. In ihrem Inneren befinden sich Dutzende kleiner Fruchtkerne. Einige sind bereits geborsten, roter Saft läuft über Kats’ Hände. Er schaut ihn an und sagt: »Aus Hades’ Hand.«
»Nein! Nein, Kats, tun Sie das nicht!«
Doch Kats hat bereits eine der Hälften zum Mund geführt und beißt hinein. Er kaut, schluckt, wird bleich. Blut quillt aus seinem halb offenen Mund.
In der Ferne kann er jemanden schreien hören.
23
Die Stimme, die ihn von irgendwo erreichte, wurde immer lauter. »Aufmachen! Polizei!«, rief sie – in einem Tonfall, der Kieffer annehmen ließ, dass sie bereits mehrfach gerufen hatte. Darauf deuteten auch die energischen Klopfgeräusche hin. Er stolperte den Flur entlang und hastete, so schnell es ihm in seinem noch schlafumnebelten Zustand möglich war, die Treppe hinunter, zur Haustür.
»Öffnen Sie sofort die Tür!«
Die Stimme gehörte Lobato. Kieffer nahm den Haustürschlüssel vom Brett und sperrte auf. Die Kommissarin blickte ihn wütend an. Sie war nicht allein gekommen, hinter ihr warteten zwei Streifenpolizisten sowie etwas entfernt ein weiterer Mann in einem schwarzen Anzug. Letzterer wurde beinahe von der Dunkelheit verschluckt. Es musste sehr früh am Morgen sein.
»Moien. Was ist denn los?«
»Sie stehen unter dem dringenden Verdacht, Beweismittel unterschlagen und laufende Ermittlungen behindert zu haben. Wenn Sie jetzt bitte zurücktreten würden.« Lobato gab den beiden Uniformierten ein Zeichen, woraufhin sich diese an Kieffer vorbei in die Wohnung drängten.
»Moment, Kommissärin. Sie können nicht einfach …«
»… ich kann.« Sie hielt Kieffer einen amtlich aussehenden Schrieb unter die Nase. Wie alle offiziellen Dokumente in Luxemburg war er auf Französisch abgefasst. »Mandat de perquisition«, stand darüber, Durchsuchungsbefehl. Kieffer ließ die beiden Polizisten passieren.
»Würden Sie mir jetzt freundlicherweise erklären, was das hier soll?«
Lobato trat in den Flur und verschränkte die Arme vor der Brust. Sie trug wieder die
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