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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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Augen ansah.
    »Na ja, das ist ein Kunstfisch!«, sagte Robert. »Den gibt es nur in Aquakultur. Als ob du Kunstkäse oder Kunstwurst isst! Künstlich hergestellt. Das ist kein Fisch, wie wir ihn kennen!«
    »Ach so, verstehe, was du meinst.«
    »Und gefüttert wird er mit frischem Fisch. Also mit dem, was wir Hochseefischer fangen. Mit Müllfisch, mit Beifang. Mit allem, was für uns eigentlich ungenießbar ist! Es geht gar nicht mehr um den Rotbarsch, den wir hochholen. Die Leute ernähren sich ja schon künstlich! Sie ernähren sich von all dem, was wir hochholen. Mit Müll, der durch diese Kunstfische ›veredelt‹ wurde, wie es dann immer so schön heißt.«
    Mit weichen Knien ging Robert zum runden Küchentisch, ließ sich auf einen Stuhl fallen, hielt Mathilde die Packung ›Pangasius‹ hin, sie solle sie wegwerfen, und schüttelte den Kopf.
    Mathilde schloss den Kühlschrank, nahm die Packung und warf sie in den Mülleimer. Sie schaltete die Herdplatten wieder aus und setzte sich zu ihm an den Küchentisch. Mathilde musterte ihren Mann, der mit leerem Blick nach unten sah. Sie spürte seine Zukunftsangst und legte eine Hand auf seinen Handrücken.
    »Du hast vielleicht recht«, sagte er leise.
    »Vielleicht.«
    »Wir sind vielleicht wirklich die letzten Fischer, und auf unsere Arbeit kommt es gar nicht mehr an. Ich wusste nicht, dass die Technik schon so weit ist. Wenn die schon neue Fischarten erfinden, besonders fettarm und was weiß ich, dann lohnt sich die Plackerei vielleicht wirklich nicht mehr?«
    Mathilde schwieg und ließ ihrem Mann Zeit. Komisch, müsste sie nicht eigentlich froh und glücklich sein? Doch sie war alles andere als euphorisch. Sie streichelte über Roberts Unterarm und hatte das Bedürfnis, ihn zu trösten.
    Sie verkniff es sich dann aber und sagte: »Wenn es dir um das Abenteuerliche geht, ich meine, wir könnten uns ja jetzt unsere EIGENE Yacht kaufen, wenn du an Land arbeiten würdest.«
    Er nickte, schüttelte den Kopf und nickte wieder. Dann zuckte er mit den Schultern, erhob sich plötzlich und sagte, er mache einen Spaziergang. Der Hunger sei ihm sowieso vergangen. Er sei bald wieder zurück. Mathilde nickte und sah ihm zu, wie er durch die Küchentür auf die Terrasse ging und wenig später hinter der Hecke verschwand.
    Sie hatte also doch einen Mann, der nicht engstirnig und rechthaberisch war. Sie hatte also doch einen Robert, der Tatsachen erkennen und sich ihnen stellen konnte. Mathilde glaubte, ihren Mann nun besser zu verstehen. Er brauche einfach nur mehr Zeit. Er könne sich nicht schnell entscheiden, er müsse bei wichtigen Fragen alle Eventualitäten prüfen. Er könne nicht einfach so eilig wie sie selbst vorgehen, in der Hoffnung, die Zeit werde sich schon um den Rest kümmern.
    ›Vielleicht‹, dachte sie, ›vertrauen Männer der Zeit nicht so sehr wie Frauen?‹
    Sie zog sich eine dicke Jacke an und ging eine halbe Stunde nach Robert ebenfalls an die See. Der Oktoberwind riss ihr die langen Haare nach hinten, aber Mathilde wählte trotzdem nicht die Richtung, in die Robert gegangen war. Sie ging auf der Steilküste nach rechts, auf Warnemünde zu.
    Hinter dem Wäldchen der Ferienanlage und dem großen, jetzt leeren Feld blieb sie kurz an der hohen Betonmauer stehen, hinter der in einem anderen Staat Marinesoldaten die Küste bewacht hatten. Bewacht vor Ausbrechenden, nicht vor Eindringenden, erinnerte Mathilde sich. Sie wusste, diese riesigen Betonplatten waren stehengeblieben, weil sie einen guten Windschutz boten. Heute befand sich eine Kleingartensparte dahinter. Mit einigen Besitzern war Mathilde zwar schon bekannt geworden, heute jedoch ging sie nicht durch die kleine, unscheinbare Holztür, sondern wandte sich nach links, wo eine Treppe mit dreiundneunzig Stufen vom Steilküstenweg hinunter zum Ufer führte. Diese Treppe war neu, nichts erinnerte mehr an herunterstürzende und schießende Marinesoldaten, wie noch vor ein paar Jahren, als Mathilde mit ihrer Familie hergezogen war. Ihrer Familie! Mathilde holte tief Luft und setzte sich auf eine der oberen Stufen. Das Ende der Treppe verschwand im aufgepeitschten Wasser. Der schmale Uferstreifen war überschwemmt, und Mal um Mal prallten die Wellen gegen das Steilufer, doch Mathilde ließ sich von dieser Wildheit nicht stören. Sie dachte an ihre kleine Familie, zwischen die sich die See gedrängt hatte. ›Dann ist es also soweit?‹, fragte sie stumm die Ostsee.
    Sie suchte den Horizont ab, ließ den

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