Letzte Fischer
zeitgleich nach dem Seil gegriffen. Sie hielt es kurz in der Hand, riss daran, spürte dabei aber die Kraft der Anderen. Hammerhai hatte das Knie gegen den Mast gedrückt, und nun bekam sie Hebelwirkung aufs Seil, mit der sie gegen die Schlange von Afrika ankämpfte. Sie ließ sogar ein wenig Leine, dann zog sie mit aller Macht daran, doch in diesem Augenblick der Vorfreude spürte sie einen Schlag gegen die Schläfe. Schon war der zweite Knoten wieder verschwunden, Luise aber hatte den ersten nicht losgelassen. Sie wollte die Schlange nach und nach entwaffnen. Hammerhai arbeitete routiniert und gewann Zentimeter um Zentimeter des Seiles, als wieder etwas durch die Luft schwirrte. Diesmal war es das lange Messer und diesmal traf es Robert am Oberarm, der aber nur wütend fluchte.
Als Luise kurz danach keine Gegenkraft mehr am Seil spürte, war sie sofort misstrauisch. Schnell holte sie das Kampfseil ein, als vom Bug her Geschrei aufstieg. Wieder flog etwas durch die Luft. Es kugelte sich, und es war um einiges größer. Es war die Schlange selbst, und auf sprang Hammerhai und war ebenfalls in der Luft, um mit einem Handkantenschlag gegen das Gelenk der Feindin zu schlagen, die gerade Roberts Kehle aufschlitzen wollte. Die beiden Kämpferinnen kamen mit den Füßen zeitgleich auf die Planken, und plötzlich wusste Luise, dass jetzt die Entscheidung unmittelbar bevorstand. Sie sah es in den Augen der Feindin. Schnelle Schläge wurden ausgetauscht, ein Keuchen, Japsen und Fluchen erfüllte die Stille, und plötzlich lag das Bordmesser vor Roberts Füßen. Die beiden Frauen stürzten hin, Luise bekam es kurz zu fassen, doch schon hatte die Asiatin es wieder.
Sekunden jedoch, die Luise genügt hatten, um mit einem einzigen Schnitt Robert und Mathilde zu befreien. Mit beiden Armen hielt Luise die Schlange von Afrika umklammert, die immer wieder mit den Ellenbogen nach ihr stieß. Luise hielt die Hiebe aus. Sie war jetzt eine Bulldogge, die sich in das Opfer über sich verbissen hatte. Luise auf dem Rücken, die Piratin über ihr, so lagen die Kämpfenden für eine halbe Minute da. Für Mathilde Zeit genug, den Anker zu heben und ihn auf den Kopf der Schlange zu wuchten.
Luise spürte Hirn und Blut auf ihr Gesicht spritzen, doch noch immer ließ sie nicht los. Sie wunderte sich nur, als sich Tommy zu ihr herunterbeugte und sie schüchtern anlächelte. Er sagte: ›Man tötet doch bloß Wale!‹
Später wäre ihr lädiertes Gesicht bestimmt in allen Zeitungen der Welt gewesen, doch da war sie leider schon aufgewacht. Dass einem in seinen Träumen die Belohnung immer vorenthalten wurde, unglaublich!
Tommy , nicht ahnend, gerade Held eines Traumes geworden zu sein, hantierte weiter in der Vorlast herum, und er hätte wohl auch ewig aufgeräumt, wäre da nicht plötzlich der Walruf gewesen: »Da bläst er!«
Der Bootsjunge ließ alles stehen und liegen, kletterte aus der Last, verschloss das Schott und rannte in seine Kabine, wo der Baske sich schon umzog und meinte, Tommy solle sich beeilen.
Der Chefharpunier half dem Jungen, sich in die wasserfeste Kleidung zu schnüren, und zusammen gingen sie aus dem Deck, um mit der Eisbärenschädelmütze in der Hand die Stufen nach oben zu steigen.
Erneut erschall der Ruf: »Da bläst er!«
Und wenig später: »Eine ganze Schule! – Sie blasen!«
»Na, dann!« nuschelte der Harpunier, nickte Sir zu und bedeutete Tommy, heute auf dem Flensdeck zu bleiben.
So vergingen die nächsten beiden Wochen, in denen Doppelbläser kaum ein Wort mit Luise sprechen konnte. Er gehörte dazu! Er tat, was ihm aufgetragen wurde, ohne zu reden, und er merkte, dass die Männer genau das von ihm erwarteten. Er nahm nicht jedes Kommando als persönliche Beleidigung, er arbeitete! Schweigend und zuverlässig.
Vor Erschöpfung konnte er sogar, gestützt auf den langen Flensspaten, im dampfenden Fett eines Blauwals einschlafen. Sekundenschlaf, der mehr Erfrischung brachte als eine ganze Kanne Kaffee. Tommy lernte so viel über sich, dass er schließlich meinte, sich kaum noch von den anderen Walfängern zu unterscheiden. Er lernte das Schweigen und erkannte, das Reden sei nur ein nervöser Ersatz für das Leben. Er sehnte sich danach, einfach mal wieder drei oder vier Stunden am Stück schlafen zu können, aber die Wale ließen ihnen in den ersten Tagen keine Zeit dafür.
Sie waren da, sie hingen an den langen Leinen, sie mussten schleunigst verkocht werden. Doppelbläser lachte über seine naiven
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