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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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hernieder und versenkte alles in einem ätzenden Verwesungsgestank, den die Männer so schnell nicht loswurden. Die ›Rache des Toten‹, wie diese letzte Fontäne eines Wals genannt wurde. Der weite Wurf des Wals. Jetzt musste der junge Doppelbläser doch kotzen, während die alten Walfänger nur lachten und sich wenig später sofort an die Arbeit machten, als Sir von oben durchs Megaphon brüllte: »Eigenbedarf!«
    Sofort wurden die besten Stücke herausgeschnitten, galt pures Walöl doch als bestes Mittel gegen Kahlköpfigkeit, gegen Arthritis und gegen festsitzende Schrauben und Bolzen. Es gab auf dieser Welt kein besseres Sonnenöl!
    Doppelbläser lachte bei dem Gedanken, sie bräuchten in dieser gottverdammten Ecke des Weltmeeres jemals Sonnenöl! Nordöstlich von Neufundland, wer wusste da schon was von der Sonne? Erfolgreich schluckte er gegen einen neuen Schub Mageninhaltes an und lenkte sich weiter mit dem Gedanken ans Horten von Sonnenöl ab. Was für ein Schwachsinn! Wann hatte er bloß das letzte Mal diese verdammte Sonne gesehen? Vor zwei Wochen? Vor drei? Und wie überhaupt sah diese Scheibe aus? Grün? Rot? Lila? Oder alles zusammen? Wie eine Libelle? Er schüttelte den Kopf und nickte lediglich, als ihm ein Kollege auf den Rücken schlug und fragte, ob mit ihm alles in Ordnung sei.
    Natürlich!
    Sie alle waren nass und durchgefroren. Sie fühlten sich elend und hatten kein Gefühl mehr in den Händen. Der Kopf war kurz vorm Zerbersten. Jetzt nur für fünf Minuten in die warme Messe und versuchen, sich an einem Becher Kaffee festzuhalten! Warum, zum Teufel, war er nur hergekommen? Im Augenblick wusste Doppelbläser es nicht. Warum hielt er diese Qualen nur aus? Bloß, weil die anderen Kerle sie auch aushielten? Das war doch hier alles so offensichtlich nutzlos und blödsinnig. Warum nur war er hergekommen? Weil er was wollte? Na, was denn, verdammt noch mal? Tommy Rahr hatte es vergessen. Kameradschaft lernen? Drauf geschissen! Mannwerden? Drauf geschissen! Mit den Händen reden? Drauf geschissen!
    Er ahnte es dann aber doch.
    Genau aus diesem Grunde nämlich! Die Ahnung wuchs sich zur Gewissheit aus.
    Natürlich!
    Um auf alles mit einem feuchten Furz zu antworten.
    Denn nur in der Verachtung der Qualen und der Gefahren wurde aus einem Kindskopf ein verdammter Mann! Zum Teufel auch, drauf geschissen! Und wieder stach Doppelbläser ins tote Fleisch rund ums Walauge, um die kleine Pupille freizulegen, die so verdammt tief saß. Drauf geschissen! Verdammt noch mal. Er fand den Tränensack und stieß mit aller Kraft hinein.
    Hier gebe es die künstlich geschaffenen Probleme des Festlands nicht, verstand Tommy. Hier errege die hohe See. Hier erfülle der heulende Wind. Hier herrsche eine eigene Art von Freude. Eine Freude aus Wildheit und Schönheit der puren Elemente. Hier stehe man klein aber unbesiegbar da. Hier überlebe allein das Männliche. Hier genüge es, stündlich zu überleben, um sich männlich zu zeigen. Hier gebe es den verdammten Flensspaten und den Mann am Spaten. Und am anderen Ende des Spatens liege der Wal schon so gut wie zerstückelt da. Hier gehe der Frieden einher mit der totalen Erschöpfung. Hier sei der Schöpfer selbst am Werk, denn alle Schöpfung sei fürs Erschöpfen bestimmt, welches ›Erlösung‹ genannt werde. ›Bis zur Erschöpfung‹, das sei der wahre Sinn, meinte Doppelbläser und stach erneut zu.
    »Der Finnwal da drüben«, schrie Güni den Jungen an und riss ihn am Arm zu sich: »Der ist schon von fünf Harpunen getroffen! Fünf Explosionen im Leib, und das elende Tier lebt noch immer! Ein zäher Bursche, neun Stunden Todeskampf! So etwas sieht man selten, sieh also hin, Doppelbläser !«
    »Dann lasst ihn doch frei!«, schrie Doppelbläser : »Respektiert seinen Sieg!«
    Güni schüttelte den Kopf und sah Tommy wütend an: »Stell dir nur immer die Unmengen von Dollar vor, dann kommst du auf so ein Gewäsch erst gar nicht. Jeder Wal bringt Hunderttausende von Dollar, und dieser da auch! Wirst schon sehen.«
    »Und wenn es Moby - Dick ist?«, fragte Doppelbläser , worauf Güni nichts zu antworten wusste. Er schwieg und biss sich auf die Unterlippe.
    Jetzt liege Sorge in seinem Blick, meinte Tommy, oder sogar Angst?
    Dann hörte er Güni sagen: »Wir werden den Burschen da in vierzig Minuten zerlegt haben. Bei Gott, das werden wir. Wir werden nichts von ihm übriglassen. Das werden wir, bei Gott. Wir werden flensen, wir werden schneiden, wir werden ziehen und

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