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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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werden nicht weniger!«, brüllte der Baske zum Jungen und zeigte auf die sieben Wale, die tot in den eisernen Walklauen hingen. Der achte wurde gerade die Helling heraufgezogen.
    Doppelbläser brüllte durch den Sturm zurück: »Lieber zu viel als zu wenig!«
    Der Chefharpunier nickte. Genau seine Meinung! Kluger Junge! – Aber sollte er es jetzt wirklich wagen?
    Acht Wale, die mit dem ›ASDIC‹ aufzuspüren so leicht gewesen sei, wusste der Auszubildende, der schon in der Berufsschule von diesem Gerät erfahren hatte. Bis zum Zweiten Weltkrieg hatte man den Wal mit Hilfe des Ausgucks aufgespürt, dann jedoch hatten Europäer das ›Anti-Submarine-Detection-Investigation-Committee‹ erfunden, ein Radar, der unter Wasser funktionierte. Während des Krieges konnte man damit U-Boote aufspüren, danach aber hängte man sich mit dem ›ASDIC‹ einfach an die Wale, die so überhaupt keine Chance mehr hatten. Es sei einfach ein Schlachten, Doppelbläser begriff es ja. Stets hingen acht bis zehn Wale in den Stahlklauen, sobald man die Walschulen aufgespürt hatte, um verarbeitet zu werden. ›Verölen‹, so nannten die Walfänger ihre Arbeit, und so nannte auch Tommy sein Tätigsein: ›Bis zur totalen Verölung!‹ Er grinste rau, was wegen der weichen Gesichtszüge immer eigenartig auf die Männer wirkte, die aber bald meinten, der Hosenscheißer übe ja noch. Doppelbläser legte den Spaten über die Schulter, hielt sich mit der anderen Hand an der Laufstange der Reling fest und ging erneut zum Heck.
    Einige Kerle standen schon auf dem Flensdeck, der halbe Wal war schon geborgen, als das warme Blut bereits aufs Deck spritzte. Die alten Jungs rutschten auf dem vereisten Deck oft aus, und auch das warme Blut gefror schnell. Sie wurden im Minutentakt von der Gischt überrollt, aber sie hörten einfach nicht auf, den Kadaver zu zerstückeln.
    Ständig standen sie bis zu den Knien im eiskalten Wasser. Schneeflocken wirbelten durch die Luft, wenn der Sturm für Sekunden verebbte. Sonst fegte er sie den Männern ins rot gefrorene Gesicht. Doppelbläser zog den Bärenschädel ein wenig tiefer, so dass er jetzt durch dessen Augenhöhlen schaute, und kümmerte sich so wenig wie möglich um die Verwundungen, die ihm die Kälte zufügte. Er wusste, eiskaltes und salziges Wasser sei der beste Wundheiler der Welt. Eine offene Wunde müsse man nur für eine oder zwei Minuten in die Gischt halten, schon seien alle Bakterien abgetötet. Weichlinge!
    Da brauche man weder Pflaster noch Jod. So könne man sofort weiterarbeiten, solange es kleinere Schnitte seien. Denn eines war ja wohl auch klar: Bein ab war eben Bein ab, da half auch kein Seewasser mehr!
    Doppelbläser grinste, und plötzlich hörte er es knirschen und reißen. Er sah zum Kadaver, ein Stück Fleisch hatte sich vom Knochen gelöst. Es sauste übers Deck und noch bevor die Winde bedient werden konnte, riss es einen der Männer, der schon mit dem Abschälen begonnen hatte, mit sich und aus dem Gleichgewicht. Der Länge nach landete er in einer riesigen Blutlache, stand aber sofort wieder und kümmerte sich nicht um das Blut an seinem Ölzeug. Auch Doppelbläser , der sich als Tommy Rahr vor soviel Blut ekelte, vor fremdem Blut, durch das er waten und schwimmen musste, war nur neidisch auf den Mann, da dieser doch so immerhin etwas Wärme abbekommen hatte.
    Es war unter Walfängern eine große Auszeichnung, sich nackt auszuziehen, in einen Wal zu steigen und ein heißes Blutbad nehmen zu dürfen. Sie hatten es von den Eskimos gelernt, und als Doppelbläser hatte Tommy Rahr bei diesem Anblick nicht einmal das Gesicht verzogen. Er hörte erneut den Warnruf ›Wahrschau!‹, drehte sich zum Haufen Knochen, Gedärme und Fleisch um, der weiter backbord lag, noch hinter dem abgetrennten Walkopf, der angekettet war und dessen Zunge gerade mit einer Motorsäge zerkleinert wurde, befand sich in diesem Lappen, groß wie ein Handballfeld, doch sehr viel reines Öl. Er sah, wie vier Männer versuchten, einen Streifen der Zunge aufzurollen, und wollte sich gerade durch den Sturm aufmachen, um ihnen zu helfen, als er hinter sich einen neuen Warnruf hörte: »WAHRSCHAU!«
    Die Männer, die um den Kadaver standen, sprangen zur Seite, mit ihnen auch Doppelbläser . Aber es war zu spät! Einer von ihnen musste aus Versehen in den vollen Darm gestochen haben. Eine Fontäne brauner und dunkelgelber Exkremente stieß in die Luft und fiel als Regen auf die Walfänger herunter. Prasselte

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