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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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Walfänger, ich finde das besser. Zum einen freust du dich drauf und zum zweiten gibt’s dann nicht so viel Schweigen, wenn Robert wieder da ist. Ich freu mich drauf, wenn ihr beide zusammen fachsimpelt und Seemannsgarn spinnt.«
    »Wirklich?«
    Mathilde nickte und sah zum Horizont. Ihr Blick blieb an einer Schaumkrone hängen, die der Wind immer dichter zu ihr trieb, bis sie plötzlich wieder auf die Brüstung des Balkons sah und wenig später auf ihre Oberschenkel. Erschrocken lockerte sie den Griff, sah sie doch, wie sich ihre Hände verkrampft hatten. Die Haut der einen Hand trug Spuren der Nägel der anderen. Angstsymptome? Ihre berüchtigten Maiängste, mit denen sie Robert auf dem Berggipfel so aus der Fassung gebracht hatte?
    Mathilde schielte zu Luise, die zum Horizont sah. Ernster Blick, herunterhängende Mundwinkel, Mathilde schüttelte den Kopf und sagte: »Wirklich, du kannst fliegen! Ich hab doch mit den Kindern in der Schule genug zu tun! Pfingstferien sind doch diesmal erst im Juni.«
    Luise schreckte auf und sagte: »Na gut, auf deine Verantwortung! Und wie geht’s Stagg ?«
    »Dem geht’s gut.«
    »Guck dir das schöne Haus an, Manfred«, rief eine Touristin auf einem Fahrrad ihrem Gatten zu, der sofort erwiderte: »Macht nur Arbeit!«
    Luise und Mathilde verließen die Terrasse und gingen durch den Garten zum kleinen Tor, das sich in der Hecke befand, und standen mitten auf dem Weg, über den sich im Sommer der Touristenstrom schob. Jetzt waren nur wenige Spontanurlauber unterwegs. Hauptsächlich Frührentner auf Hotelfahrrädern, die langsam und eiernd die Breite des Pfads ausfüllten. Mathilde und Luise mussten einem Pärchen ausweichen, ehe sie an der Strandgaststätte vorbei die Richtung zur Promenade einschlagen konnten, deren Mittelpunkt noch immer der Turm mit den in alle Himmelsrichtungen zeigenden Uhren war, der in der DDR den Urlaubsrhythmus bestimmt hatte: Essen, Sonnen, Essen, Sonnen, Essen, Abendgestaltung; Mathilde konnte sich das heute kaum noch vorstellen.
    Sie gingen die Steinstufen zum Strand hinunter und zogen sich Schuhe und Strümpfe aus, obwohl der Nordostwind heftig drückte.
    Mathilde band ihre Schuhe an den Senkeln zusammen, ließ sie am Finger baumeln und ging zum feuchten Sand, ehe sie sich nach Westen wandte. Neben ihr schlenderte Luise. Beide Frauen hatten die Kapuzen der wetterfesten Jacken hochgeschlagen, so dass der schiebende Wind sie kaum störte. Sie liefen an den Wellenbrechern vorbei, die das Steilufer des Dorfes schützten, bis auch diese aufhörten. Die Wellen schlugen, ungehindert von den langen Reihen der Baumstämme, ans Land, doch dem Land scheine es wieder einmal nichts auszumachen, meinte Luise. Sie sah nach links, hoch zum Buchenwald, der Gespensterwald genannt wurde, weil die vom ewigen Wind verbogenen Bäume in der Dämmerung tatsächlich wie Gespenster wirken konnten. Als sie mit ihren Eltern von Greifswald hierher gezogen war, hatte sie sich in den ersten Wochen oft erschreckt, wenn sie durch den Wald lief, der ans Dorf grenzte. Aber als Vierzehnjährige erschrecke man sich ja ständig, meinte sie, und es sei ja auch stets ein wohliges Erschrecken gewesen, nach dem sie sich immer noch lebendiger vorgekommen sei. Stundenlang hatte sie die Einritzungen an den vielen Stämmen studiert, die sich hier überall fanden. Schon vor den Kriegen war dieses Dorf zum Urlaubsort für Berliner geworden und später waren hier Soldaten stationiert gewesen und noch später befand sich hier ein großes Kinderferienlager. Und irgendwann war hier auch ein Kinderheim gewesen. Sie alle hinterließen in der Rinde ihre Grüße an die Nachwelt. Die Soldaten hatten die immer kürzer werdenden Zeitspannen akribisch notiert, lange Tabellen, und die Jugendlichen hatten ihre Initialen in Herzen geschnitzt, all das fand Luise damals rührend, und für sie wurde der Ort bald zu einem Märchenwald, voll von Liebesgeschichten.
    Noch heute glaubte sie, wenn sie alte Ehepaare beim Spaziergang überholte, die versonnen in den Wald blickten, dass sie sich hier als Jugendliche kennengelernt, sich im Buchenwald am Meer verliebt hatten und dass sie sich noch heute liebten. Luise sah wieder zum Strand, durchbrach die Trennung zu ihrer Mutter, umarmte sie kurz und fest, woraufhin das Pärchen einige wacklige Schritte vollführte.
    ›Wie ein Mann‹, dachte Mathilde: ›Wie die Umarmung eines Manns.‹
    Sie blieb stehen, Luise nahm ihren Arm vom Rücken der Mutter, und beide blickten über

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