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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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Er wusste, dass es hier unten nur glatte Wände gab. Er brauchte keine Fluchtmöglichkeit zu suchen, weil es sie im Tank nicht gab. Immer wieder vertrieb er neugierige Fische.
    Erneut öffnete sich das schmale Schott unter der Notlampe, und wieder wurde ein Kollege ins Wasser geworfen.
    »Hundertsiebenundsechzig«, sagte der Dritte Offizier in die Dunkelheit: »Es fehlen also noch zehn Männer.«
    »Aber wer fehlt noch?«, fragte der Knirschende , der dank seines vielen Fettes auf dem Rücken trieb und nur ab und an die Arme bewegen musste.
    »Ich bin da«, sagte der junge Ismael: »Diese Dreckstypen, wenn ich die in die Finger bekomme! Die haben mich aus der Dusche gezogen, diese Schweine! Man zieht einen Mann nicht aus der Dusche, das ist eine Sünde!«
    »Ja, das stimmt«, sagte der Knirschende , und auch Väterchen pflichtete dem Jungen bei, obwohl er sich wegen seines langen Bartes, der sich vollgesogen hatte, kaum noch über Wasser halten konnte. Er dachte an seine Fischfamilie, die sich immer noch im Aquarium befand. Würde er sie je wieder füttern können?
    Väterchen holte tief Luft und ließ sich sinken. Er spürte, wie sein Bart über ihm schwebte, er spürte auch, wie die Fische durch ihn hindurch schwammen. Auf dem Boden stieß er sich mit den Füßen kräftig ab und hörte an der Oberfläche gerade noch den Befehl des Dritten Offiziers.
    Nach und nach sagten die Männer ihre Namen. Am Ende fehlten die Stimmen des Zweiten Offiziers, des Kapitäns, des Funkers, sechs aus der Abteilung der Deckbesatzung und die von uralter Richard , was alle verwunderte, nur Robert und Opernsänger nicht.
    »Also bin ich der ranghöchste Offizier«, stellte der junge Marokkaner fest, der als Kind nach Frankreich gekommen war und sich dort hochgearbeitet hatte: »Ich habe schon viele knifflige Situationen durchlebt. Also werde ich auch diese überstehen! – Und Sie, meine Herren, mit mir!«
    Niemand antwortete.
    Nach einer Weile war aber doch die Stimme des jungen, nackten Ismael zu hören: »Wirklich?«
    »Ja, wir schaffen das, Junge«, sagte der Dritte Offizier, der nur vier Jahre älter war.
    »Wir lassen das Wasser ab«, sagte Kroatischer Riese , der besonders wütend war: »Dann stapeln wir den Fisch übereinander, und zur Not trage ich euch alle auf meinen Schultern, bis einer von uns das verdammte Schott da oben erreicht hat. – Das lasse ich doch nicht mit mir machen!«
    »Was?«, fragte Pawel, der hoffte, die Piratenbrut bringe seine Eisenbahnfahrpläne nicht durcheinander.
    »Ach, nichts!«, antwortete Kroatischer Riese , dem es peinlich war, von zwei weiblichen Piraten ausgekontert worden zu sein. Er hatte schon drei Männer am Boden gehabt, als eine dieser Kampfsäue einen Sprung machte und ihn mit dem Fuß am Kinn traf, während die andere ihm zeitgleich in die Kniekehlen trat. Diese elenden Bräute, die wussten doch noch gar nicht, dass sie schon tot waren! Kroatischer Riese schlug mit der Faust aufs eisige Wasser und sagte: »Warten ist tödlich!«
    Sie wussten es alle. Ihre Chancen standen schlecht. Dunkelheit, Kälte und glatte Wände, fieberhaft überlegte der Dritte Offizier, ehe er sagte: »Verhungern werden wir nicht. Genug frischer Fisch ist da, aber trinken können wir nichts. – Dass mir niemand das Salzwasser trinkt! Diese Plörre wurde das letzte Mal vor fünf Tagen ausgetauscht. Es dürfte hier vor Bakterien nur so wimmeln.«
    »Wir können das Wasser nicht ablassen«, sagte Haudegen , der Chefmechaniker und Oberste Heizer der Saudade . Ihn störte die Dunkelheit nicht, er hatte beim Überfall ohnehin seine Brille verloren.
    »Warum nicht?«, fragte Kroatischer Riese .
    »Darum nicht«, sagte Haudegen , der den gesamten Schaltplan des Schiffes im Kopf hatte, aber nicht wusste, wie er diesen Plan erklären sollte.
    »Was ist das für eine bescheuerte Antwort? Sind wir im Kindergarten, oder was?«, mokierte sich Kroatischer Riese .
    »Wenn Haudegen meint, es geht nicht, dann geht es nicht«, sagte Opernsänger , der vom Dilemma des Heizers wusste, zu wenige Worte zu kennen.
    »Also, was machen wir?«, fragte Robert Rösch.
    Niemand antwortete.
    Vereinzelt waren Flüche zu hören, aber mehr und mehr breitete sich eine Stille aus, die bedrohlich wie Nebel werde, meinte der Kurznasenseefledermausspezialist.
    Ismael begann damit, herumzuschwimmen und sich zu vergewissern, dass andere Menschen wirklich anwesend waren. Immer nur Stimmen zu hören, wurde ihm unheimlich. Mit weit aufgerissenen Augen

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