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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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du das?«
    »Beim Lügen verändert sich doch der Herzrhythmus. Das können sie hören. Wale sind uns weit voraus, weil sie das Lügen unmöglich gemacht haben. Sie sind ehrlich zueinander, wenn sie sich begegnen. Da versteckt niemand das Wissen um einen guten Weidegrund, weil sein Mageninhalt ihn ja doch verrät. Da maßt sich niemand an, die Erinnerung eines Fremden für die eigene auszugeben, weil man das Falsche heraushören würde!«
    »Und das hören wir gerade, auch wenn wir nichts sehen? Mein Gott, was für Geräusche!«
    »Vielleicht kann man Wahrheit sowieso nicht sehen, sondern nur hören«, sagte Tommy mit einem Lächeln: »Ein Gesicht kann eine Lüge verstecken, aber eine Stimme vielleicht nicht.«
    Luise nickte: »Das ist wahr! Bei Verhören ist das auch immer so. Da ist das Gesicht egal.«
    »Da heißt es ja schon so: Verhör! Nicht Verseh! Manchmal glaube ich, wir müssen nur dem Sinn der Wörter folgen, um weiterzukommen. Dem hörbaren Sinn!«
    Sie neigte sich zu ihm, sie küssten sich, als der Walgesang mit einem tiefen Ton endete. Ungeniert umfasste Luise ihren Freund, sie küssten sich wild auf dem Bug des Walfängers, ehe sie leise zu ihm sagte: »Und was machst du? Du tötest diese Geschöpfe! Obwohl du um ihre Einzigartigkeit weißt!«
    »Da bin ich wohl nicht besser als du! Du tötest Menschen«, sagte Doppelbläser und stürzte sich erneut auf die Lippen seiner Freundin.
    Als Luise die Augen wieder öffnete, erstarrte sie.
    Sie drückte Tommy weg und starrte über seine Schulter hinweg zum Horizont. Deutlich sah sie grüne und rote Positionslichter. Sie drehte sich nach vorn. Auch vor den Umrissen Spitzbergens waren diese Lichter plötzlich knapp über der Wasseroberfläche. Schlauchboote! Auch backbord! Sie kamen auf den Walfänger zu. Aus allen vier Himmelsrichtungen.
    Luise sagte: »Mein Schatz, geh sofort unter Deck und bleibe dort, bis ich dich rufe!«
    »Aber!«
    »Tu es, bitte! Sofort!«
    Luise schob ihn übers Vordeck, und Tommy erinnerte sich an seinen wirren Traum. Er solle nicht aufs Oberdeck gehen, hatten die toten Lippen seiner Mutter gefleht. Er solle unter Deck bleiben. Und nun? Was war?
    Er sah in Luises Gesicht. Die Augen waren weit aufgerissen, sie sah zur Brücke hoch, sie winkte ihren Kameraden zu, die auf dem Dach Wache hielten.
    Die Zwillinge gestikulierten zurück, ihre knappen Handbewegungen konnte Tommy noch sehen, ehe sich das Außenschott hinter ihm schloss. Er ging nach unten, folgte dem Längsgang und war schon in seinem Deck, als Sir durch die Lautsprecher befahl: »An alle! Dies ist keine Übung! An alle! Dies ist keine Übung! – Einnehmen der Gefechtspositionen! Ab sofort hat Luise Rösch das Kommando!«
    Es knackte, dann hörte Tommy die Stimme seiner Freundin: »An alle! Sofort Sicherheitsteams wie besprochen bilden und Stellungen einnehmen. – Warten Sie auf weitere Befehle!«

Teil 5
    ›Als hätte Luise Regie geführt‹, dachte Robert Rösch und erinnerte sich an die vielen Vorträge und Warnungen, die ihm seine Tochter so oft mit auf den Weg gegeben hatte. Er solle sich immer vor Piraten in Acht nehmen. Er solle vor Einbruch der Nacht kontrollieren, ob immer alle Außenschotts verschlossen seien. Er solle die Zwischenschotts nachts mit Vorhängeschlössern versehen. Er solle nach Sonnenuntergang die Beleuchtung der tiefer gelegenen Decks einschalten. Die Spots der Brückennock und die Aldislampe seien bereitzuhalten, um näher kommende Boote zu blenden. Feuerlöschschläuche, Hydranten und Wasserrohre seien ständig einsatzbereit zu halten. Die Türen zu den Mannschaftsunterkünften seien verschlossen zu halten. Die Wache – es solle jede Nacht eine Wache auf dem Oberdeck sein – solle ein besonderes Augenmerk auf sich vom Heck her nähernde Boote haben. – Ja ja, hatte er immer geantwortet, es werde schon nichts passieren. Sie seien ja nur auf einem Trawler. Einer von fast zweihundert, da müsse es schon mit dem Teufel zugehen.
    Es war mit dem Teufel zugegangen. Robert schwamm im Frischwasserbunker drei und spürte die Anwesenheit vieler seiner Kollegen. Es war bis auf die kleine, grüne Notlampe, die sich etwa zwölf Meter höher befand, finster hier unten. Über dem einzigen Schott, dessen Zugang hochgezogen war.
    Unter ihnen drehten Tausende von Thuns ihre Runden, die sie wenige Stunden vorher gefangen hatten, um sie später zu verarbeiten.
    Robert hielt sich mit Zeigefinger und Daumen an einer Schweißnaht fest und strampelte mit den Füßen.

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