Letzte Fischer
Meeresschildkröte oder als werde ihnen das Leben zumindest auf ähnlich schäbige Weise eingehaucht, als sei ihre ganze Existenz von Brutalität und Bosheit zerfressen, bis sie zuletzt so unschön zu Tode kamen, wie sie gelebt hatten‹«, sagte Thomas, und Oleg fügte hinzu: »Ja, ja, vom großen Jack London, dem besten der Welt!«
»Nicht dem besten«, sagte Thomas: »Nur dem kaputtesten.«
Luise drückte den Mageninhalt mit aller Willenskraft wieder hinunter, ihr war so schlecht, als würde Robert Rösch in diesem Moment nach Hilfe rufen; als wisse sie, dass er sie in diesem Moment brauche. Was war das? Luise konnte es sich nicht erklären. Ihre Hände waren eiskalt, aber das Gesicht glühte. Sie schloss kurz die Augen und zählte die Gegner, die sie getötet hatte. Das half ihr. Sie schluckte noch einmal.
Dann sagte sie: »Vergesst nicht! Keine Toten! Ich wiederhole: keine Toten und keine schweren Verletzungen! Unser Auftraggeber hat das klar ausgedrückt. Wiederholen!«
»Keine Toten!«, sagten die Zwillinge wie aus einem Munde, und Thomas fügte hinzu: »Keine Toten, keine Verletzten. – Obwohl Jackie sehr richtig schrieb: ›Letztlich war dieses Leben doch eine billige und schäbige Sache, und je früher es vorüber war, desto besser. Schluss und aus! So lehnte ich mich über die Reling, starrte sehnsüchtig ins Meer, und die Gewissheit überkam mich, früher oder später selbst tiefer und tiefer hinabsinken zu müssen in die kühlen grünen Abgründe seines Vergessens.‹«
»›Kühle Abgründe‹ ist gut«, sagte Oleg und musterte das Schlauchboot, das von backbord auf den Walfänger zukam: »Ich würde sagen, arschkalt!«
»Arschkalt, arschkalt, von wegen! ›Kühl‹ ist richtig, das hat literarische Gründe«, antwortete Thomas, ehe Luise forderte: »Klappe jetzt, Jungs! Es geht los!«
Die vier Boote kamen von der Seite, und Luise hielt das für den ersten taktischen Fehler des Gegners. Ungehindert stampfte die Rimbaud ihren Schlingerkurs in die See.
Zwei Boote ließen sich leicht zurückfallen, die anderen beiden positionierten sich in Bugnähe. Wieder sah Luise das Megaphon an den Lippen eines Bärtigen, der auf Deutsch sagte: »Ergeben Sie sich! Ihnen wird nichts geschehen! Wir müssen die Wale retten!«
Luise aber hob langsam die Hand. Sie richtete das Gewehr aus, stellte auf Einzelfeuer und nahm sich beim Zielen Zeit. Ruhig atmete sie und musterte das Gesicht des Mannes über Kimme und Korn, bis sie ganz gelassen und frei war. Wieder atmete sie ein, hielt die Lungen gefüllt und wanderte mit dem roten Punkt des Zielfernrohres über die anderen Männergesichter zum Außenborder des Bootes. Ein Schuss, und das ganze Ding flog in die Luft! Sie grinste.
Lust hätte sie dazu schon, und was für welche! Doch dann nahm sie den Bug des Schlauchbootes ins Visier und schoss wenig später unterhalb der Wasserlinie ins Plastik.
Die Bunten hatten das leise Plong gar nicht bemerkt. Sie hielten Kurs, der Anführer redete weiter, und wahrscheinlich hätten sie endlos weitergeredet, wenn ihnen der Bug nicht so schwer geworden wäre, meinte Luise.
Sollte sie noch einen Schuss setzen? Aber nein, das Anführerboot fiel ja schon zurück.
Sie sah die Unruhe im Gesicht des Gegners, dann Panik. Kommandos wurden über Funk gegeben, sie sah das Schlauchboot sinken, die Männer sprangen in ihren Schwimmwesten von Bord, doch bevor der Anführer sprang, setzte er sich noch schnell hinter das aufgepflanzte Maschinengewehr und gab der Rimbaud eine Breitseite oberhalb der Wasserlinie. Die gesamte Backbordseite wurde getroffen, die Walfänger aber hatten Deckung gefunden.
Sekundenlang lagen diese Geräusche in der Luft, die Luise so gut kannte; diese vielen Variationen des metallenen Plings .
»Die Heckboote drehen ab!«, sagte Thomas, und Luise sah, dass auch das andere Bugboot zum Wrack gesteuert wurde.
»War es das etwa schon?«, fragte Oleg.
»Das wäre schade«, sagte Bolek: »Ich will auch ein paar Schüsse abgeben, um in Übung zu bleiben.«
Luise stellte das Sprechgerät an und sagte: »Team Eins: Machen Sie eine Durchsage. Die Gegner sollen sich ergeben. Wir werden sie vor ein ordentliches internationales Seegericht stellen. Sie haben unser Wort!«
»Das ist aber nicht unsere Aufgabe! Lassen wir sie, wo sie sind«, sagte Thomas, aber Luise schüttelte den Kopf: »Das ist eine Chance, gute Presse zu bekommen.«
»Achtung, hier spricht der Kapitän des Walfängers Rimbaud !«, hörte sie wenig später
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