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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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herumbekommen. Und was einmal klappe, das klappe auch zweimal. Tommy freute sich jetzt schon auf die Rückkehr und dachte an sein neues Zimmer.
    Was wusste er über die Harpuniere? Sie seien die heimlichen Chefs an Bord eines Walfängers. Während des Fangs werde allein der Harpunier das Sagen haben. Der Kapitän werde sich ihm beim Fang unterordnen, die nautischen Gegebenheiten werden sich seinem Willen zu beugen haben. Nichts werde es geben, was sich ihm entgegenstellen könne. Auf der Jagd nach dem Blubber und den Barten, nach dem Fleisch und den Knochen, würden allein die Fähigkeiten des Harpuniers über Erfolg und Misserfolg entscheiden. Seine Vorahnungen, seine Erfahrungen, seine Vorausdeutungen, seine Erinnerungen, das alles werde das Jetzt dominieren. Die reine Gegenwart. Die Mannschaft werde ihm gehorchen. Er werde während des Fangs die ganze Verantwortung tragen. Seine Abschüsse würden über Sieg und Niederlage entscheiden. Jeder Mann werde kommentarlos unter Einsatz all seiner Kräfte dem Wissen des Harpuniers dienen, und genau das werde auch er tun, meinte der Junge, genau das werde auch Rahr tun, Tommy Rahr, Auszubildender im dritten Lehrjahr. Tommy grinste und spuckte abfällig ins Hafenbecken. Er war als erster seiner Lehrlingsklasse volljährig geworden. Während die anderen ein Praktikum an Land machen mussten, konnte er schon zur See fahren. Erneut spuckte er ins Wasser. Es habe also auch Vorteile, einmal sitzengeblieben zu sein, der Letzte könne doch der Erste sein, begriff Tommy, ehe er wieder an seinen neuen Zimmernachbarn denken musste.
    War der Baske ein guter oder ein schlechter Harpunier? Sicherlich, die Basken hatten einst den Walfang erfunden. Über Jahrhunderte hatten sie den Walfang dominiert, weil nur sie auf den Walfängern die Harpuniere stellten; auf den eigenen, auf den englischen und auf den holländischen Schiffen. Sicherlich, das Volk der kleinwüchsigen Basken kannte das Volk der Wale wie kein anderes, aber hatten sie mit diesem Mann einen guten Fang gemacht? Das war doch die Frage aller Fragen. Würde er die Quote schnell erfüllen können? Würden sie sogar ein paar Tage vor der Frist nach Hause kommen? Würde er auch mal den einen oder anderen geschützten Wal harpunieren? Oder war er ein Angsthase, der vor den Aufpassern der IWC zitterte? Pflegte dieser Baske seine Bugkanone? Fragen über Fragen, doch die einzige Antwort, die Tommy kannte, behagte ihm gar nicht: Das Bergvolk der Basken pflegte keine Freundschaften mit anderen Völkern. Wie sollte er den Mann da nur auf seine Seite ziehen? Einzelgänger, alles Einzelgänger, das war im Fach Sozialkunde eine Tatsache gewesen. Und hier?
    Tommy schlug aufs Schanzkleid und dachte: ›Am besten vergessen. An Land soll man die See vergessen, auf See soll man das Land vergessen!‹
    Er sah wieder auf die Handyuhr und ging zurück zum Deck, das er nun zu entern gedachte. Diesmal klopfte er nicht an, sondern trat einfach ein und fragte sofort: »Na, besser jetzt?«
    Der Baske lag noch immer auf seiner Koje. Tommy setzte sich an den Tisch und sah zum kleinen Bullauge, das sich links von den Kojen und rechts von den Spinden an der Stirnseite des Decks befand.
    »Ist das verschmiert!«, sagte Tommy: »Das werde ich erstmal putzen.«
    »Was?«, kam es sehr leise aus der Koje: »Junge, tu mir den Gefallen und hol mir aus der Kombüse einen Liter kalte Cola!«
    »Aber ich bin nicht dein Laufbursche.«
    »Nein, bist du nicht. Ich hatte gestern nur Geburtstag.«
    »Dann ist ja gut«, sagte Tommy: »Also bist du kein regelmäßiger Trinker.«
    »Ganz bestimmt nicht. Geh, bitte.«
    Tommy nickte, stand auf und befand sich wenig später vor der Durchreiche zur Kombüse: »Chefkoch, der Harpunier braucht einen Liter kalte Cola.«
    »Das glaub ich gern.«
    »Hast du was da?«
    »Klar, ich hab alles. Dafür bin ich hier berühmt. Ich habe alles und kann alles auftreiben.«
    »Wenn du alles hast, dann brauchst du doch nichts aufzutreiben.«
    »Oh, ein ganz Schlauer, was? Solche Schlaumeier brauchen wir hier an Bord aber nicht.«
    »Entschuldigung!«, sagte Tommy sofort: »Das ist mir nur so herausgerutscht.«
    »Na, macht nichts, hier, die Cola, und bestell dem Basken , er soll sich nicht wie ein Mädchen anstellen.«
    »Mach ich«, sagte Tommy und verschwand wieder aus der Messe. Als er ins Deck kam, saß der Harpunier auf der Kojenkante und grinste ihn an. Die fettigen Haare standen ihm zu Berge, der Vollbart war zerzaust, und deutlich sah

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