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Letzte Fischer

Titel: Letzte Fischer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Volker Harry Altwasser
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eines der drei Notizbücher auf, die alle noch leer waren. Während er sich die Regeln notierte, erhob sich der Baske und verließ leise das Deck.
    Die Rimbaud lag im Nordwesten von Spitzbergen, und während die Mannschaft auf die Ankunft der Sicherheitsleute wartete, vertrieben sich die Männer die Zeit mit dem Aufklaren und Erneuern des Fanggeschirrs. Das Oberdeck wurde geschrubbt, Roststellen an der Außenhaut wurden übertüncht, und Tommy lernte nach und nach alle zwanzig Walfänger kennen.
    Sie wussten, er sei der neue Mitbewohner des Harpuniers und der Baske habe sich noch immer nicht negativ über den Jungen geäußert. Also sei der Azubi in Ordnung. Sie nickten ihm zu und erklärten ihm bereitwillig alles, was er wissen wollte.
    Zuerst waren sie darüber ja erstaunt gewesen. Der Junge fragte und fragte, aber dann war ihnen klar geworden, es sei gut, wenn der Bootsjunge früh genug über alles informiert sei. Hatten sie in ihren Anfangszeiten doch alles selbst herausbekommen müssen, so stellten sie nun überrascht fest, wie einfach alles werde, wenn man frage. Was hatten sie nicht alles durch Fehler anstatt durch Fragen lernen müssen! Die Männer wurden beim Antworten immer aufgeschlossener, begriffen sie doch, wisse der Bootsjunge so früh wie möglich über alles Bescheid, so könnten dann beim Fang ein paar Katastrophen verhindert werden.
    Sie waren geduldig mit Tommy, auch wenn sie ihn seiner Körperschwäche wegen nicht recht ernstnehmen konnten. Was sollten sie mit ihm nur auf See anfangen? Was konnte der denn groß tragen, ziehen oder drücken?
    Die Männer behielten ihre Skepsis, doch Tommy bemerkte sie nicht. Unbekümmert ließ er sich mehr und mehr vom Bordleben erklären und übertrug das neue Wissen sorgsam in seine Notizbücher. Das blaue war für die allgemeinen Verhaltensregeln, das rote für den Walfang und das braune für die Verarbeitung der Tiere gedacht.
    An diesem Teil der Küste gab es keine menschlichen Siedlungen, hin und wieder durchschoss ein Knall die Stille. Tommy beteiligte sich nicht an der Jagd nach Eisbären. Abends sah er die Männer der Freiwache mit Eisbärenfellen an Bord kommen, aber er fragte nicht groß nach ihren Jagden. Es war ja mehr als ein Zeitvertreib. Diese Felle brachten gutes Geld, brachten eine zusätzliche Prämie. Aber sie brachten auch zusätzliche Wärme. Tommy hatte zwei Felle geschenkt bekommen, eines für die Koje und eines für die Arbeit an Oberdeck.
    Diese weißgrauen Felle speicherten die Körperwärme und wiesen gleichzeitig das Wasser ab. Unter Deck trockneten sie schnell. Tommys kleiner Kopf fügte sich gut in den Oberkiefer des Bärenschädels ein. Der Unterkiefer war abgerissen worden, um im Nacken eine optimale Schutzschicht zu erhalten, und um die Hüfte hielt ein Gürtel das Fell, der aus dem Bärendarm gefertigt worden war. Tommy hatte das Ganze schon einmal anprobiert, aber ob er diese eigenartige Kleidung irgendwann tatsächlich mal benutzen würde, das wusste der Junge noch nicht. Vielleicht, wenn die Männer es auch trugen? Vielleicht war es ja witzig, wenn sie alle als Eisbären durchs Schiff liefen? Er grinste und stellte einen Fuß auf die untere Stange der Reling, während er weiter zum Land sah.
    Er hatte sich für das Geschenk bedankt, denn einem geschenkten Gaul schaue man nun mal nicht ins Maul, wusste er. Gerade war er von einem kurzen Spaziergang zurückgekommen, begann es doch bereits zu dämmern. Aus der Kantine hatte er sich einen Becher Tee geholt und wartete auf die Rückkehr der Männer, die auch keine Bordwache hatten.
    Fast zwei Wochen waren schon vergangen, und ihm kam es so vor, als würde er nun alles Wichtige wissen. Sehnsüchtig erwartete er das Auslaufen des Schiffes. Seine erste große Fahrt, wann endlich begann sie?
    Er schlürfte von seinem Tee und sah zum majestätischen Panorama der norwegischen Inselwelt. Schroffe und spitze Felsen und Berge lagen wie eine weiße Diamantenkette vor ihm. Eine Kette für eine Riesin allerdings, Tommy lächelte. Unbearbeitete, blinde und kalte Diamanten. Er umfasste mit beiden Händen den Metallbecher, als der Baske sich an seine Seite stellte.
    Schweigend blickten sie eine Weile hinüber, sahen dem Wind zu, der den Schnee erst nach backbord wehte und dann nach steuerbord. Dann ließ er ihn kreisen und wirbeln, doch niemals ließ er ihn auf der vereisten Oberfläche des Landes ruhen.
    »Irgendwo hier«, sagte der Baske , »irgendwo hier hat sich die legendäre Stadt der

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